Das Imperium der Woelfe
Pelzen, die aussahen wie schlafende Tiere.
Schiffers Stimme in seinem Rücken erklang erneut: »Was ging in Ruyas Kopf vor?«
»Dasselbe wie bei allen anderen. >Mein Körper ist hier, mein Geist dort.< Sie dachte an nichts anderes, als nach Hause zurückzukehren, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Das hier war nur eine Durchgangsstation. Das tägliche Leben einer Ameise, über die Nähmaschine gebeugt, in einer Zwei-Zimmer-Wohnung zusammen mit anderen Frauen.«
»Ich möchte ihre Mitbewohnerinnen sehen... «
Paul hörte nicht mehr zu. Er beobachtete das Hin und Her in der unteren Etage. Diese Manöver waren wie ein Austausch, ein althergebrachtes Ritual. Dann drangen Chiffres Worte wieder in sein Bewusstsein: »Und wer oder was, glaubst du, ist der Mörder?«
Es herrschte Schweigen, so lange, dass Paul sich wieder dem Zimmer zuwandte.
Gozar war aufgestanden und sah durch das Fenster auf die Dächer hinaus. Sie stand reglos da und sagte leise: »Ich glaube, das ist mehr... politisch.«
Schiffer ging auf sie zu: »Was willst du damit sagen?«
Sie drehte sich um: »Die Sache könnte über die Interessen eines Einzelmörders hinausgehen.«
»Gozar, verflucht, erklär, was du meinst.«
»Ich habe nichts zu erklären. Im Viertel haben alle Angst, und ich mache da keine Ausnahme. Du wirst keinen finden, der dir weiterhilft.«
Paul schauderte, der Moloch aus seinem Albtraum, der das ganze Viertel beherrschte, schien wirklicher denn je. Ein Gott aus Stein, der seine Beute in den Kellern und Elendsquartieren der Klein-Türkei suchte.
Die »teyze« fuhr fort: »Das Gespräch ist beendet, Schiffer.«
Der Polizist gab nach, steckte sein Notizbuch ein und zog sich zurück. Paul warf einen letzten Blick auf die Verkaufsverhandlungen unten.
Und in dem Moment sah er ihn.
Ein Lieferant - schwarzer Schnurrbart, blaue Adidas-Jacke - betrat den Lagerraum, einen Karton in den Armen. Automatisch hob er den Blick zu der Empore, und als er Paul sah, versteinerte sich sein Gesichtsausdruck.
Er stellte seine Ladung ab, sprach mit einem Handlanger in der Nähe der Kleiderbügel und kehrte zum Ausgang zurück. Sein letzter Blick zur Empore bestätigte Pauls Ahnung: Angst.
Die beiden Polizisten betraten wieder den unteren Saal, und Schiffer sagte: »Die geht mir auf die Nerven, diese dumme Kuh mit ihren feinen Anspielungen. Verdammte Türken. Alle durchgeknallt, alle... «
Paul stürzte los, mit einem Sprung hatte er die Türschwelle erreicht und warf einen Blick ins Treppenhaus. Eine dunkel gebräunte Hand glitt am Geländer entlang. Der Mann floh, so schnell er konnte.
Paul sagte leise zu Schiffer, der gerade den Treppenabsatz erreichte: »Kommen Sie, schnell!«
Kapitel 36
Paul rannte auf den Wagen zu, setzte sich ans Steuer und drehte den Zündschlüssel um. Schiffer konnte gerade noch hineinspringen.
»Was ist denn los?«, murrte er.
Paul fuhr los, ohne zu antworten. Die Gestalt war nach rechts abgebogen, am Ende der Rue Sainte-Cécile. Er beschleunigte und bog in die Rue du Faubourg-Poissonnière ein, erneut bahnte er sich seinen Weg durch den Verkehr und die Menge hindurch.
Der Mann lief mit schnellem Schritt zwischen Lieferanten, Passanten, dem Rauch der Crêpe- und Döner-Buden hindurch und warf immer wieder suchende Blicke über die Schulter, bis er eine Straße in Richtung Boulevard Bonne-Nouvelle hinaufhastete. Schiffer sagte schlecht gelaunt: »Kannst du mal erklären, was los ist?«
Paul murmelte, als er in den dritten Gang schaltete: »Bei Gozar, da war ein Mann. Als er uns gesehen hat, ist er geflohen.«
»Na und?«
»Er hat den Bullen gerochen. Er hatte Angst, verhört zu werden. Er weiß vielleicht etwas über unsere Sache.«
Ihr »Kunde« bog nach links in die Rue d'Enghien. Glück gehabt: Er lief in Fahrtrichtung.
»Oder er hat keine Aufenthaltserlaubnis«, brummte Schiffer.
»Wer hat bei Gozar schon eine? Der Mann hat einen besonderen Grund für seine Angst. Das spüre ich.«
Chiffre stemmte sein Knie gegen das Armaturenbrett. Er fragte in missmutigem Ton: »Wo ist er?«
»Linker Bürgersteig, Adidas-Jacke.«
Der Türke ging die Straße hoch. Paul gab sich Mühe, unauffällig zu fahren. Eine rote Ampel. Der leuchtend blaue Fleck entfernte sich. Paul spürte, wie Schiffers Blick dem Mann ebenfalls folgte. Das Schweigen im Wageninneren war nun besonders dicht: Sie hatten sich verstanden. Sie zeigten dieselbe Ruhe, dieselbe Aufmerksamkeit, konzentrierten sich auf dasselbe Ziel.
Grün. Paul
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