Das Implantat: Roman (German Edition)
Gebäude ausgefüllt. Die aufgehende Sonne wirft gleißende Lichtstrahlen durch das offene Stahlskelett. Es ragt über einem noch nicht ganz ausgebauten zweiten Untergeschoss auf, das tief unten im dunklen Schatten liegt. Jim erklärt mir, dass daraus eine bis auf den letzten Quadratmeter vollgeparkte Tiefgarage für selbstfahrende Autos wird, in der nicht mal Licht verlegt werden muss, weil die Dinger das nicht brauchen.
Es ist noch früh. Hoch über unseren Köpfen hängt ein verkrusteter Zementmischer an der Kette des Baustellenkrans, in dem die Arbeiter ihre Werkzeugkästen untergebracht haben, damit man sie nicht stehlen kann. Hier und da laufen ältere Männer mit Kaffeebechern in den Händen herum. Kaum einer der Arbeiter ist unter fünfundsechzig. Jeder hat eine Wartungsbuchse an der Schläfe, auch Jim. Wenn die alten Burschen aneinander vorbeikommen, nicken sie nur knapp. Manchmal hebt auch einer halbherzig die Hand zur Begrüßung. Lächeln tut keiner.
»Sie reden nicht viel, oder?«, frage ich Jim.
Er schüttelt den Kopf.
»Mein Dad hat mich zu Ihnen geschickt. Er meinte, Sie könnten mir sagen, was ich hier soll.«
Jim sieht zu mir herüber und mustert mich kurz. Kaut nachdenklich auf der Innenseite seiner Wange herum. Schließlich zuckt er mit den Achseln. »Vielleicht«, erwidert er. »Aber ich vermute, eher nicht. Wie dem auch sei, ich muss jetzt arbeiten.«
Der alte Mann lässt sich auf ein Knie sinken und schnürt seinen Seesack auf. Mit routinierten Handgriffen rollt er das ausgeblichene Tuch herunter, bis ein Wirrwarr aus staubigen Metallröhren zum Vorschein kommt. Die dünnen, mit Dellen und Kratzern übersäten Röhren haben die Farbe von hellem Gold: Sie sind aus einer Titanlegierung gefertigt.
Auf einer Röhre ist ein ID -Code eingestanzt, der an eine Fahrgestellnummer erinnert.
»Mein beweglicher Untersatz«, erklärt Jim. »Besser als ein Rollstuhl und tausendmal besser als einer dieser bescheuerten Scooter, mit denen Zivilisten durch die Gegend fahren müssen.
Semper fi,
Junge.
Semper
verdammt noch mal
fidelis.
«
Jim zieht das Gestell aus Röhren aus dem Seesack und schüttelt es aus wie ein schmutziges T-Shirt. Die Röhren klappen sich aus, und plötzlich hat Jim eine Art Metallskelett in der Hand, dessen Arme und Beine von einem rucksackähnlichen Rumpf ausgehen. Ohne innezuhalten, setzt Jim einen seiner Stiefel auf eine der fußförmigen Plastiksohlen, in denen die dünnen Metallbeine enden. Er steigt auch mit dem anderen Fuß ein und zieht sich dann den rucksackähnlichen Teil über. Die skelettartigen Arme hängen noch mit offenen Gurten schlaff an den Seiten herab.
»Sie sind Kriegsveteran?«, frage ich und berühre ehrfurchtsvoll eins der herabhängenden Metallhandgelenke. Jim nickt. Knapp oberhalb des Handgelenks baumeln mattfarbene Greifer, auf denen helle Kratzer glänzen. Ich hebe den leblosen Arm an und entdecke ein darunter eingeklapptes Werkzeugset: Schraubenzieher, Feilen, sogar eine automatische Säge.
Die Greifer packen mich am Handgelenk, und ich mache einen Satz nach hinten. Erschrocken winde ich meinen Arm aus dem Griff der kalten Klaue und schüttle sie von mir wie eine Spinne. Jim gibt ein heiseres Kichern von sich. Während das Metallskelett seine Arme wieder brav anlegt, tippt der alte Mann an die Buchse an seiner Schläfe.
»Ganz ruhig, Junge. Das Exoskelett ist mit meinem Amp verbunden. Selbst jemand, der keine Arme und Beine mehr hat, könnte es steuern. Allein mit der Kraft seines Geistes. Als Veteran muss man nur behaupten, man habe Arthritis, und das Veteranenministerium verpasst einem schneller so ein Ding, als man danke sagen kann.«
Er legt die Arme in die dafür vorgesehenen Stangen des Anzugs und zieht die Gurte fest. »So finden wir leichter Arbeit«, sagt er.
Jim muss beinah achtzig sein. Er erzählt, aus dem Militär sei er schon vor vierzig Jahren ausgeschieden, aus dem offiziellen Arbeitsleben vor zehn. Jetzt steht er in einem vom Staat gesponserten Exoskelett vor mir, das eigentlich für medizinische Zwecke gedacht ist, und macht sich für einen weiteren Tag harter körperlicher Arbeit bereit. Und das ist auch der Grund, warum all die jungen Männer an der Straße stehen und jeden, der zur Baustelle will, so böse ansehen.
Die alten Knacker nehmen ihnen die Arbeit weg.
Jim spricht den Bauleiter wegen mir an. Die Pure-Pride-Anhänger draußen weigern sich, zusammen mit den alten Männern auf derselben Baustelle zu arbeiten, deswegen
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