Das Implantat: Roman (German Edition)
Boden auf.
»Wie sollte ich euch schützen?«, frage ich ungläubig.
Einen Moment lang starrt Jim mich an, hebt dann den Blick zu der Buchse an meiner Schläfe. »Du wärst wahrscheinlich überrascht, wozu du fähig bist.«
Der alte Mann steht über den Vorschlaghammer gebeugt. An seiner Nasenspitze hängt ein Schweißtropfen, doch er stört sich nicht daran. »Wir haben große Probleme. Und nicht nur hier«, meint er. »Überall. Frontlinien werden gezogen. Überall im Land flüchten Amps mit ihren Familien zurück in die Uplift-Siedlungen, aus denen sie stammen. Normale Menschen hingegen ziehen von dort weg.«
»Was wird Ihrer Meinung nach passieren?«
»Wenn wir nicht schnell eine Lösung finden – irgendeinen Weg, um Vaughn und seine Anhänger zu stoppen –, dann gibt es nur eins, was passieren kann: Es wird Krieg geben.«
In dem Augenblick fängt jemand jenseits des Zauns an zu schreien.
Die panischen Schreie mischen sich mit eigenartigem Gelächter. Die Art von Gelächter, die mit Humor nichts zu tun hat. Je näher ich komme, umso lauter wird es.
Durch die orangefarbenen Plastikmaschen des Zauns sehe ich den lachenden Mann in der Mitte der Straße stehen.
Es handelt sich um einen Cowboy, der staubige schwarze Jeans und Stiefel trägt. Seine schlaksigen Arme und seine schmale Brust sind komplett mit Tätowierungen bedeckt. Krähen. Dutzende Krähen mit schlagenden Flügeln und kreischenden Schnäbeln prangen auf seinem nackten Oberkörper. Und auf die Mitte der Brust ist ein roter Stern tätowiert.
Ein anderer Typ, einer der Demonstranten – und zwar ein ziemlich großer –, stolpert gerade von dem Cowboy weg, hält seine rechte Hand mit der linken umklammert und starrt mit weit aufgerissenen Augen darauf hinab. Dieser Anblick ist es, was ihn so zum Schreien bringt. Der größte Teil der Finger zeigt nämlich in die falsche Richtung.
Der Cowboy hebt seinen Hut auf und stemmt lachend einen Arm auf den Oberschenkel. Er richtet sich auf und holt tief Luft, bricht dann aber sofort wieder in gackerndes Gelächter aus. Während er sich vornüberbeugt, fallen braune Strähnen in sein Gesicht – doch vorher entdecke ich noch die kleine Buchse an seiner Schläfe.
Der lachende Cowboy ist ein Amp.
»Hey, da bist du mir echt zu nahe gekommen, Mann«, sagt er. »Malen nach Zahlen, Amigo. War nicht gerade schwer zu durchschauen, was du vorhattest.«
Ein Gedanke bildet sich halb in meinem Kopf. Der Mann sieht irgendwie vertraut aus. Ich schaue zu Jim hinüber, doch der wendet sich ab. Schüttelt sein graues Haupt und kehrt zu seiner Arbeit zurück.
»Wer ist das?«, rufe ich ihm hinterher.
Jim bleibt nicht stehen. »Lyle Crosby«, sagt er. »Ist hier in der Gegend aufgewachsen. War eine Weile weg, aber jetzt ist er anscheinend wieder da.«
Ein paar der Demonstranten führen den Typen mit den gebrochenen Fingern von der Straße. Die anderen werfen Lyle finstere Blicke zu, doch niemand wagt sich an ihn heran.
Ich nehme die Hand vom Zaun und folge Jim. Der alte Mann hebt seinen Vorschlaghammer auf und macht sich daran, ein falsch gegossenes Stück Beton zu zertrümmern. Zwischen den Hieben frage ich ihn aus.
»Wieso rufen die nicht die Polizei?«
»Fünfzig Prozent der Typen sind nicht mal amerikanische Staatsangehörige. Sondern einfach nur Menschen.«
»Und wieso machen sie nicht Kleinholz aus dem Kerl?«
»Zu gefährlich«, antwortet Jim.
»Warum?«
Jim hält inne und zeigt mit dem Vorschlaghammer auf die Straße, als wäre er so leicht wie ein Bleistift. Die Röhren seines Exo-Arms glänzen in der Sonne, und der Hammer steht so ruhig in der Luft wie ein Stahlträger. »Weil sie ja bereits gesehen haben, was passiert, wenn man ihm zu nahe kommt. Sie wissen, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Dass er das Kommando über eine ganze Gang Amp-tragender Kids hat. Was sie nicht wissen …«, Jim senkt die Stimme, »… ist, dass Lyle Soldat ist. Oder mal war, besser gesagt.«
Jetzt erinnere ich mich. Die Gesichter, die in dem Sattelschlepper auf dem Bildschirm eingeblendet wurden. Crosby. Auf dem Bild sah er jünger aus und trug die Haare kürzer. Aber er ist es.
»Echo Squad«, sage ich.
»Das war ein Experiment. Doch jemand hat geplaudert, und als die Presse dahinterkam, wurde die Einheit aufgelöst. Lyle war der Kommandant.«
»Er kam mir gleich bekannt vor. Unsere Fotos wurden zusammen bei einem Fahndungsaufruf eingeblendet. Sie haben mich mit den anderen zusammengesteckt, als sei ich
Weitere Kostenlose Bücher