Das Implantat: Roman (German Edition)
jemand.
Grelle Blitze zucken aus den Gewehren der Männer. Prasselnd schlägt der Schrot ins Gehäuse des Generators ein. Lucys Gesicht taucht zwischen zwei Blitzen ab.
Lucy.
Wie von selbst erhebe ich mich.
Mit gesenktem Kopf renne ich auf einen der Schützen zu. Die mittleren drei Finger meiner rechten Hand sind erhoben, meine Augen geschlossen. Ich stelle mir das Implantat in meinem Kopf vor, groß wie einen Zeppelin, der sich gerade von seinen Haltetauen losreißt. Zeit, herauszufinden, wozu ich fähig bin.
Drei. Zwei. Eins. Null.
Und der Amp spricht zu mir.
Erschrocken lausche ich der künstlichen Stimme in meinem Kopf:
Level eins. Diagnosezugriff. Situationsbewusstsein für Kampfsituationen. Für Mission erforderliche Fitness. Bewegungs- und Überlebensfähigkeit. Sind Sie einverstanden? Sind Sie einverstanden?
Nachdem er all die Jahre stumm in meinem Kopf geschlummert hat, richtet der Amp zum ersten Mal das Wort an mich. Und mir kommt das kleine Plastikteil in meinem Schädel erschreckend lebendig vor. Die Stimme, die ich höre, klingt ganz natürlich, als sei sie ein Teil von mir.
Meine Augen sind jetzt geschlossen, und irgendwie gilt das auch für meine Ohren, meine Haut und meine Nasenlöcher. Ich befinde mich komplett in meinem Innern, im Dunkel meiner eigenen Gedanken. Und in diesem stillen Schoß existiert nichts außer jener Frage. Also antworte ich darauf.
Ja, sage ich.
Ja, ich stimme zu.
Sofort kann ich wieder etwas fühlen. Ich öffne die Augen.
Auf einmal bin ich in Hochstimmung. Als ich Luft durch die Nase einziehe, merke ich förmlich, wie mein Blut mit Sauerstoff gesättigt wird und mir neue Kraft in die Glieder schießt. Ich spüre den Wind auf der Haut und den Schweiß, der in der Luft verdampft. Die Grenze zwischen meinem Körper und der Außenwelt scheint sich gleich mit zu verflüchtigen.
Das Feld singt.
Ich sehe seltsame Lichtblitze. Helle Linien und Kreise, die keinen Sinn ergeben. Ich blinzle, um sie zu vertreiben. Alles wird schwarz, dann platzen überall so grelle weiße Lichtflecken auf, dass es fast nicht zu ertragen ist. Das Gewehrfeuer.
Zwischen den Blitzen sausen meine Fäuste anmutig durch die Luft, als würde das Schicksal selbst sie führen. Ich höre einen gurgelnden, erstickten Laut, als meine flache Hand die Kehle eines bärtigen Mannes trifft. Noch während er fällt, reiße ich ihm das Gewehr aus den Händen und schleudere es in die Dunkelheit. Wie ein Ufo fliegt es kreiselnd in die Nacht hinaus.
»Wo ist der Cowboy?«, ruft Billy. »Hört nicht auf zu schießen!«
Das Gras, die verschlungenen Wolken über mir, die aufgeregten Männer – ich nehme alles nur noch schemenhaft wahr. Unzählige Finger aus weißem Licht streichen über das Feld.
Ich reiße einem weiteren Mann das Gewehr aus den Händen und schleudere es fort.
Ein dunkler Fleck wankt vorbei. Lyle, der eine Übermacht von vier Männern mit sich zerrt. Er kann einen Arm befreien und zerschneidet damit die Luft wie mit einer Klinge. Noch mehr Schreie.
Ein weiteres Gewehr hustet seine Ladung in die Nacht hinaus. Einer der Männer schreit erschrocken auf. »Hab ich dich erwischt?«, fragt ein anderer. »Scheiße, Kumpel.«
Ein paar der dunklen Gestalten nehmen bereits die Beine in die Hand. Humpeln und taumeln in Richtung der Häuser, die auf der anderen Seite des Feldes stehen. »Scheiß drauf«, murmelt jemand.
»Hey, was soll das?«, ruft Billy und schwenkt den Suchscheinwerfer seines Gewehrs über die Deserteure. »Kommt gefälligst zurück, ihr Feiglinge.«
In dem Moment huscht Lyle an mir vorbei und baut sich hinter Billy auf. Bevor ich ihn aufhalten kann, versetzt er Billy einen brutalen Schlag in die Niere. Bringt sich in Position und haut mit voller Wucht zu.
Billys Knie knicken ein, und er sinkt ins Gras, hält sich den Rücken und versucht zu atmen. Neben ihm liegt seine Pumpgun, deren Suchscheinwerfer wie eine Gartenlampe die Halme anleuchtet.
Lyle steht mit hängenden Schultern über ihm wie ein bösartiger Schatten.
»Komm mit mir, Owen«, flüstert er und zeigt auf die stolpernd fliehenden Männer. »Komm mit mir in die Dunkelheit und lass uns jagen gehen. Voll drauf, Kumpel.«
In die Dunkelheit. Ich möchte mit. Der Zenith fühlt sich umwerfend an. Die ganze Welt scheint mir kribbelnd in Augen und Nase zu steigen, tanzt über meine Haut. Ich kann meinen Augen beim Sehen zuschauen. Glück. Wahnsinn. Ich falle in mich selbst hinein. Und während meine Gedanken zu dem Implantat
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