Das Implantat: Roman (German Edition)
Unter den halb geschlossenenen Lidern sind seine Augen stumpf und schwarz, wie zuvor bei der Konfrontation mit den beiden Jugendlichen. Sein Blick wirkt leblos wie der einer Puppe, sein Grinsen künstlich wie das eines Clowns.
Lyle hat sich in sein Inneres zurückgezogen. Er hat der Maschine die Kontrolle überlassen, damit sie sich der Sache annimmt. Jetzt weiß ich, dass wir mächtig in der Scheiße sitzen.
»Wo bist du, Lyle?«, flüstere ich. »Komm zurück.«
Die Männer kommen näher. Ihre Rufe werden lauter. Schon fliegt eine weitere Flasche durch die Luft.
Endlich kehrt Leben in Lyles Augen zurück, mit einem Flackern scheinen sie wieder anzuspringen. Ich kann erkennen, wie viel Anstrengung es ihn kostet, sich auf mein Gesicht zu konzentrieren. Das Lächeln wird zaghafter. Seine Augen glänzen feucht.
»Wir werden die Welt verändern«, flüstert er.
»Mach das nicht, Lyle«, sage ich.
»Ich bin voll drauf, Mann«, antwortet er. »Level fünf. Ist ultrageil.«
Ich halte Lyle an der Schulter gepackt und wende mich den Männern zu. Gebe mir Mühe zu lächeln, während ich versuche, ihn mit mir fortzuziehen. »Wir wollen keinen Ärger«, erkläre ich.
Lyle fängt wieder an zu summen und wirkt wie jemand, der gerade aus einem Irrenhaus ausgebrochen ist. Voller Genuss atmet er den lauen Abendwind ein. Eine Sekunde lang ist es auf dem Feld ganz und gar still. Nur das ferne Knattern des Generators ist zu hören.
Die Männer haben uns inzwischen komplett eingekreist, wie eine Horde wilder Hunde. Instinktiv haben sie uns umzingelt, ohne darüber nachdenken zu müssen. Jeder kennt genau seinen Platz – so läuft das wahrscheinlich schon seit der Grundschule ab.
»Er hat nur zu viel getrunken«, füge ich hinzu, während Lyle die Männer summend anlächelt. »Wir sind sofort wieder weg.«
Ein Typ in einem Flanellhemd tritt nach vorne, und vom plötzlichen Adrenalinschub bekomme ich ein taubes Gefühl in den Beinen. Das ist er. Der Typ, der zugesehen und gelacht hat, als diese Teenager mich malträtiert haben. Der mit dem Tattoo. Billy.
»Guten Abend, Freundchen«, sagt er. »Zu viel getrunken haben wir alle. Das ist keine Entschuldigung.«
Auf seinem unrasierten Gesicht erscheint ein künstliches Lächeln. Er hat eine schwarze Pumpgun in der Hand und stützt den Kolben lässig auf die Hüfte. Er hält die Waffe nicht mit zu Boden gerichtetem Lauf unter dem Arm eingeklemmt wie ein Jäger, sondern zielt damit selbstbewusst in den Himmel. Eher wie ein Bankräuber.
Ohne den Blick von uns abzuwenden, holt Billy eine rote Gewehrpatrone aus seiner Hosentasche. Schiebt sie in das Gewehr und rammt sie mit dem Daumen ganz rein. Holt eine weitere Patrone hervor. Und dann noch eine.
Schnick. Schnick. Schnick.
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich nicht mehr hier draußen blicken lassen. Hab’s dir gesagt, und trotzdem bist du wieder hier. Diesmal kommst du nicht mit ein paar blauen Flecken davon, Amp«, sagt er.
Mir kommt es vor, als enthielte die Luft plötzlich kaum noch Sauerstoff. Billy hat den Hauptscheinwerfer direkt im Rücken, sein Gesicht liegt im Schatten. Seine langen gelben Zähen sind dennoch gut zu erkennen. Während er ruhig weiterredet, blitzen sie immer wieder in seinem dunklen Gesicht auf.
»Ihr müsst bleiben, wo ihr hingehört. Wir sind hier, um die Stadt zu schützen. Wir Männer sind das Einzige, das zwischen euch Bestien und unseren Frauen und Kindern steht.«
Ich kann mich nicht zurückhalten. »Ihr habt fast ein hilfloses Kind getötet.«
Wieder blitzen die gelben Zähne auf. »Er ist kein Kind«, gibt Billy zurück. »Er ist ein Amp. Da gibt es einen Unterschied. Außerdem wollten wir ihm nur helfen. Haben eine kleine Operation an ihm vorgenommen. Wollten ihm einen Gefallen tun und wieder ein menschliches Wesen aus ihm machen.«
»Der kleine Scheißer kann froh sein, dass wir ihm sein Roboterauge gelassen haben«, schaltet sich ein anderer ein und stößt dabei seinen Nebenmann mit dem Ellbogen an. Die Männer kichern.
»Ja, da hat er Glück gehabt«, erwidere ich. »So konnte sein Implantat alles aufnehmen. Wir haben euch alle auf Film. Und wir gehen damit direkt zur Polizei.«
Das Gelächter der Männer wird noch lauter.
»O Mann, das ist gut. Ich bin der Sheriff, du taube Nuss. Billy Hardaway steht dir zu Diensten. Wenn du also Beweismaterial hast, nun, dann würde ich vorschlagen, du schiebst es dir einfach in den Arsch.«
Wieder schallendes Gelächter.
Lyle lacht aus
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