Das Implantat: Roman (German Edition)
ist von alten Reifenabdrücken gefurcht.
Im Gegenlicht der Flammen zeichnen sich dunkle Gestalten vor dem Lagerfeuer ab, an deren Köpfen kleine bunte Lampen leuchten. Andere Amps sitzen auf den zwei vergammelten Sofas, die jemand in das Rund geschleift hat, und lauschen den scheppernden Rhythmen eines per Verlängerungskabel betriebenen Ghettoblasters.
Etwas Großes bewegt sich – als würde ein Wolkenkratzer sich im Wind wiegen. Es ist Brain. Der Hüne sitzt auf einem Baumstumpf und hält eine Literflasche Bier, die in seinen Händen aussieht wie eine winzige Ampulle.
Während ich am Rande der Menge stehe, steigen Zweifel in mir auf. Die Leute hier sind jünger und zäher als ich. Unberechenbar und wild. Irgendwie werde ich das seltsame Gefühl nicht los, durch ein Gehege im Zoo zu laufen, in das ich nicht hineingehöre.
Das hier ist Astra, und ich habe Angst davor.
Plötzlich schlägt mir jemand mit flacher Hand auf den Rücken. Der Schlag ist so hart und laut, dass ich einen Ausfallschritt mache und die Leute sich umdrehen. Lyle legt den Arm um meine Schultern.
»Gray«, verkündet er. »Auf dich habe ich gewartet.«
Lyles Gesicht liegt halb im Feuerschein. Wie ein dunkler Makel wirkt die kleine Buchse an seiner Schläfe. Die gleiche, die ich dort trage.
»Ich muss dir noch ein paar der Jungs vorstellen«, sagt Lyle. Während er mir die Namen der Männer nennt, kneift Lyle ein Auge zusammen und deutet auf jeden mit Zeige- und Mittelfinger wie mit dem Lauf einer Pistole. Schließlich gelangt er bei der hoch aufragenden Gestalt auf dem Baumstumpf an.
»Und Brain kennst du ja schon.« Lyle wölbt die Hand vor dem Mund und flüstert laut: »Versuch diesmal, nicht wieder alles vollzukübeln.«
Ein paar Leute lachen. Ich frage mich, wie viel sie über mich wissen.
»Lass uns aufbrechen«, flüstere ich und halte dabei den Kopf so, dass die anderen uns nicht hören können. »Die Cops werden auf der Suche nach uns hier alles auf den Kopf stellen. Wir müssen Valentine warnen. Hast du ihn schon angerufen?«
»Bringt nichts«, erwidert Lyle. »Sie überwachen ihn. Sobald er sich regt, schnappen sie ihn sich.«
»Sie werden ihn töten. Wir müssen ihn da rausholen.«
»Glaubst du, ich weiß das nicht?«, fragt Lyle und wendet mir den Rücken zu. Vor den hellen Flammen wirkt seine dunkle Gestalt noch schmaler als sonst. »Aber bevor wir gehen, musst du Mitglied bei Astra werden.«
»Okay.«
»Okay was? Du musst es sagen.«
»Ich will mitmachen, Lyle. Ich will bei Astra mitmachen.«
Lyle legt wieder den Arm um meine Schultern und spricht laut die anderen an. »Hey, Leute, das hier ist Gray. Ich verbürge mich für ihn.«
Lyle wendet sich an mich: »Aber um bei Astra mitzumachen oder wieder daraus auszuscheiden, gibt es nur einen Weg. Wir bereiten dir ein Willkommen mit unseren Fäusten. Wenn du stark genug bist, nehmen wir dich auf. Wenn nicht …«
Wieder lachen einige Leute trocken.
Ich mache einen Schritt rückwärts. Doch Lyle gräbt seine sehnigen Finger in meine Schulter. Hinter ihm erheben sich dunkle Gestalten. Sie schließen die Reihen, bis sie vor mir stehen wie eine schwarze Wand. In Kopfhöhe leuchten viele kleine bunte Punkte. Lyle zieht mich zu sich und flüstert mir ins Ohr: »Du weißt, welcher Teil von dir gerade zuhört, oder? Welcher Teil von dir deine Entscheidungen für dich trifft. Der kleine Mann, der in deinem Kopf am Steuer sitzt.«
Lyle drückt mir den Zeigefinger auf die Stirn.
»Ja«, sage ich unsicher.
»Das ist deine Befehlsfunktion. Sie plant alles für dich. Erledigt das abstrakte Denken. Entscheidet über deine Handlungen. Der Rest deines Körpers ist quasi auf Autopilot. Verdaut deine Nahrung. Schwitzt, blutet, hält dich im Gleichgewicht. Hilft dir, die Gesichter deiner Mitmenschen zu erkennen.«
»Okay.«
»Es gibt also Befehlsfunktion und Autopilot. Kommst du so weit mit?«
»Ja.«
»Mach mit der Hand die Auslösebewegung. Wenn du drin bist, nimm den kleinen Kerl in dir – die Befehlsfunktion – und schalte ihn auf Autopilot. Steig auf seine Schultern und richte dich auf. Lass dich durch die Level fallen, dann ist alles in Ordnung. Schaffst du das, Gray?«
»Ja.«
»Vorhin auf dem Feld hast du dich nicht schlecht geschlagen. Aber jetzt musst du tiefer gehen. Du musst alles einsetzen, was du hast, hörst du?«
»Warum?«, will ich wissen.
»Weil wir uns gleich mächtig anstrengen werden, dich totzuprügeln.«
»Was?«, frage ich erschrocken.
»Ad
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