Das Implantat: Roman (German Edition)
mein Augenimplantat in gräuliches Licht taucht. Auf dem Weg sehe ich mehrere reglose Gestalten am Boden liegen.
Schließlich entdecke ich vor mir einen Lichtschein auf dem schimmeligen Boden. Ich reiße die Tür auf, und vor mir steht Lyle in einem großen Raum, der sich oben zum abendlichen Himmel öffnet. Die meisten Innenwände wurden abgerissen, und auch in der Decke prangt ein großes Loch. Das Parkett wirkt wie ausgewaschen, und in den Ecken liegen von Regen und Wind zusammengetriebene Müllklumpen. Mehrere Bäume ragen aus dem aufgebrochenen Parkett und streben ungelenk dem in Trümmer gerahmten Stück Himmel über ihnen zu.
An der gegenüberliegenden Seite des Raums erkenne ich Valentines hoch aufgeschossene, hagere Gestalt. Der General stützt sich mit seinen langen Händen an der Wand hinter ihm ab und atmet schwer. Seine grünen Augen sind weit geöffnet und sammeln mit starrem Blick Informationen. Er steht leicht nach vorne gebeugt, so dass sich seine Schlüsselbeine unter seinem olivgrünen T-Shirt abzeichnen. Seine offene Armeejacke wirkt irgendwie plötzlich ein wenig zu groß für ihn.
»Alles in Ordnung?«, fragt Lyle mich, ohne sich umzudrehen.
»Alles okay«, antworte ich. »Das hier läuft nicht nach Plan.«
»Wie kommst du darauf?«, gibt er zurück, während er langsam auf den in die Ecke getriebenen Amp zumarschiert.
»Hey, Nummer dreizehn«, ruft Valentine mir zu. Er versucht zu grinsen, doch es will ihm nicht recht gelingen. Sein Gesicht wendet sich wieder Lyle zu. »Wie viel weiß er?«
»So viel wie nötig«, erwidert Lyle und macht noch einen Schritt vorwärts.
»Wir sind hier, um dir zu helfen«, erkläre ich. »Du musst nicht vor uns wegrennen.«
Valentine gibt ein rauhes Lachen von sich. »Du weißt nicht genug, Junge«, meint er.
»Ich weiß, dass Elysium eine ganze Akte über dich hat. Du bist verraten worden. Wir sind hier, um dich zu warnen«, sage ich und gehe dabei ebenfalls weiter in den Raum hinein.
»Wirf mal einen Blick auf den Tisch da drüben, Nummer dreizehn«, sagt Valentine. »Dann unterhalten wir uns noch mal.«
Er senkt die Stirn und mustert Lyle. Mittlerweile hat er aufgehört, mit den Fingern nervös gegen die Wand zu trommeln. Ich schaue zwischen den zwei Soldaten hin und her. Mir fällt auf, wie reglos sie beide dastehen – wie zwei Revolverhelden kurz vor dem Ziehen ihrer Waffen.
»Lyle …?«, beginne ich.
Blitzschnell löst Valentine sich von der Mauer. Er legt den Daumen über den kleinen Finger und streckt die drei restlichen Finger aufrecht nach oben. Das grünliche Licht spielt auf seinen Unterarmen wie Sonnenschein auf seichtem Meeresboden. Seine Miene wirkt, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
»Nicht«, sagt Lyle.
Valentine krümmt die Finger und macht eine Faust. Drei, zwei, eins, null. Ein Zittern geht durch seinen Körper, als ob sich gerade ein Stromkreis geschlossen hätte. Lyle stürzt nach vorne, während Valentines Lippen sich stumm bewegen.
Ich weiß, was er sagt:
Drei, zwei, eins. Ja, ja, ja.
Lyle holt aus und prallt mit dem Ellbogen so hart gegen die Wand, dass der Putz abfällt. Valentine hat in der letzten Sekunde allerdings einen Schritt zur Seite gemacht. Seine verschwitzten roten Haare kleben an seiner Stirn, und seine Augen haben einen vertrauten leeren Ausdruck angenommen. Ohne hinzusehen, tritt er das Fenster hinter sich ein.
»Mist«, murmelt Lyle, während Valentine eine gebückte Haltung einnimmt und sich auf dem Absatz umdreht. Geräuschlos verschwindet er durch das Fenster, ohne die scharfen Glasstücke, die noch im Rahmen stecken, auch nur zu berühren. Springt in den Abend hinaus wie ein Vampir.
Lyle schaut zum Tisch hinüber, dann zum Fenster und springt Valentine mit den gleichen flüssigen Bewegungen und dem gleichen toten Blick hinterher. Draußen höre ich die Feuerleiter gegen die Gebäudewand schlagen, als Lyle die Verfolgung aufnimmt.
Auf Vals rostigem Metallschreibtisch liegen verschiedene Papiere und geöffnete Ordner. Trotz des schlechten Lichts macht sich mein Augenimplantat bereits über die Worte her, bevor ich überhaupt daran denken kann, sie zu lesen.
Missionsanalyse und -planung.
Bekannte Namen treten aus dem Text hervor: Stilman, Daley, Valentine und Lyle Crosby. Auch mein Name. Und die Namen von Orten: Houston, Chicago, Detroit.
… werden parallel ausgeführte Angriffe auf die wesentlichen politischen Gegner nötig sein, um die regionale Lage weiter zu
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