Das Implantat: Roman (German Edition)
destabilisieren …
Die Worte beschreiben einen Schlachtplan.
… Operationen auf die Spitze treiben, um »kritischen Moment« herbeizuführen, der regionale Splittergruppen veranlasst, von sich aus örtliche Kräfte zu binden und so allgemeines Chaos auszulösen …
Bürgerkrieg.
… als Zenith ist Dir eine Bestimmung auferlegt, Valentine. Das Ausbleiben einer Antwort auf diesen Plan wird als stillschweigende Ablehnung der Verantwortung gewertet, die Du gegenüber Deiner Einheit, Deinen Leuten und Astra trägst. Die Reaktion darauf wird tödlich ausfallen …
Und ganz am Ende die Unterschrift:
Lyle Crosby.
Der lachende Cowboy will Valentine gar nicht warnen; Lyle ist hier, um einen abtrünnigen Zenith-Träger zur Strecke zu bringen.
Ich brauche eine Weile, um mich auf die neue Situation einzustellen. Auf dem Dach tut Lyle sein Bestes, um einen unschuldigen Mann umzubringen, der sich geweigert hat, ihm in seinen neuen Krieg zu folgen.
Trotz meiner verletzten Hand steige ich durchs Fenster und auf die Feuerleiter. Einhändig kämpfe ich mich die Sprossen hinauf, während hinter mir die untergehende Sonne die Wolken in blutiges Licht taucht.
Als ich das Dach erreiche, kracht ein Schuss durch die Dämmerung. Das Flattern der Tauben wirkt wie ein Echo. Vorsichtig spähe ich über die Dachkante.
Im ersten Moment scheint das leicht geneigte Dach leer zu sein. Aus den eingestürzten Stellen quillt rosafarbener Dämmstoff, der aussieht wie wucherndes Fleisch. Dann erkenne ich an einem Ende zwei sich umarmende Gestalten. Lyle hält die Waffe in der rechten Hand. Den linken Arm hat er um Valentines Schultern gelegt. Er lässt ihn langsam auf das Dach nieder.
»Tut mir leid«, höre ich ihn murmeln. »Tut mir leid, Val.«
Valentine liegt auf der Seite. Mit vor Schmerz verzogenen Schultern schiebt er die rechte Hand unter die linke Achsel und legt den Unterarm über die Wunde in seiner Brust. Sein Atem geht unregelmäßig, und sein Hemd saugt sich immer mehr mit Blut voll. Lyle hockt mit gebeugtem Kopf neben dem Verletzten und wendet mir den Rücken zu.
Val öffnet seine grünen Augen und sieht mich. Verzieht den Mund zu einem blutverschmierten Lächeln. »Nummer dreizehn«, sagt er hustend. »Viel Glück.«
Lyle steht auf und dreht sich zu mir um. Reglos schaue ich zu ihm hinüber. Vom Dach aus kann er nur meinen über die Kante ragenden Kopf sehen.
»Du hast die Papiere gesehen«, stellt er fest. »Valentine stand mit den Leuten von Pure Pride in Kontakt. Er wollte sie warnen. Ich kann keinen abtrünnigen Zenith gebrauchen, Gray.«
Aus dem Zimmer unter mir dringen Geräusche.
»Ich bin hier nicht der Böse, verstehst du?«, fährt Lyle fort. »Und dieses Mädchen, das sich das Leben genommen hat … Samantha. Sie hatte recht, Gray. Hat keine sehr mutige Wahl getroffen, aber recht hatte sie. Die Welt wird uns nie akzeptieren. Hier gibt es keinen Platz für uns. Deswegen müssen wir für eine neue Welt kämpfen. Und das gilt besonders für Zenith-Träger.«
Auf dem Boden hinter Lyle hört Valentines Brust auf, sich zu heben.
»Stell es dir vor«, meint Lyle. »Koordinierte Attacken auf Normalo-Ziele, so getimt, dass sie für maximales Chaos sorgen. Guerilla-Taktik, Häuserkampf. Nicht nur wir Soldaten, sondern alle Amps gegen alle Normalos. Aus Plastik, Titan und Silikon werden wir ein neues Land formen. Bald bricht die Sache los, Gray, in einem Ausmaß, das du dir nicht vorstellen kannst.«
»Warum machst du das?«, frage ich.
»Um etwas zu ändern, Mann«, sagt er. »Um mir zu nehmen, was mir zusteht. Jedes Lebewesen kämpft, wenn sein Überleben bedroht ist. Und wenn die Menschen nicht kämpfen wollen, dann zwingen wir sie eben. Man sucht sich seine Revolution nicht aus. Man wird von der Revolution ausgesucht.«
Ich werfe einen Blick auf das große, ein Stockwerk tiefer liegende Fenster, aus dem ich gestiegen bin. Dahinter erkenne ich Stilman und Daley, die sich systematisch durch den Raum bewegen. Stilman trägt einen verbeulten Benzinkanister in der Hand.
»Vier von uns sind übrig«, erklärt Lyle. »Wie lautet deine Entscheidung?«
Er hebt die Waffe und richtet sie auf meinen Kopf.
»Kämpfen oder sterben«, ruft Lyle. »Stilman ist dabei. Daley auch. Der Rest ist tot. Bist du mein General oder nicht?«
Die blutroten Wolken spiegeln sich in Valentines offenen Augen. Schweiß glänzt immer noch auf seiner Stirn. Der Wind fährt durch seine roten Haare.
Lyle zieht den Schlagbolzen zurück.
Weitere Kostenlose Bücher