Das Impressum
Gabelbachs längste Rede, das war Herbert Blecks längster Aufenthalt im Bildlabor, das war Davids längste Atemnot unterm Dach der Neuen Berliner Rundschau.
Doch wie der Start gewesen war, so ging es auf der Strecke weiter, ein ganzes Jahr.
Bleck verhedderte sich immer wieder in ein Gewirr aus scharfen Ideen und verdächtigen Erscheinungen; er kam mit den vorgefundenen Menschen nicht zurecht, und selbst Johanna, die zwar wilde, aber doch auch geduldige Menschenbildnerin, konnte diesen Bleck nicht modeln; der hatte keine Zukunftsfühler und nicht ein winziges Extraeckchen für Humor; der tönte so lange von Entwicklung, bis niemand sich mehr regen mochte, der ließ, als er endlich ging, nicht mehr zurück an Erinnerung als den jeden Uneingeweihten verwirrenden Hausbrauch, lateinisch auch Usus genannt, dem zufolge bei Sitzungen und Versammlungen an möglichst unpassender Stelle der Satz zu fallen hatte: »Die Verwandlung eines Menschen in einen Käfer ist für uns keine annehmbare Lösung!«
Das war alles und nicht gerade viel für einen Chefredakteur.
Denn der Chefredakteur Herbert Bleck hatte der Tugend nicht, die zu den höchsten in jenem Lande zählte, von dem die Neue Berliner Rundschau ein Abdruck war. Er hatte bei aller Geschultheit nicht verstanden, daß des Lernens niemals ein Ende sei.
So verschwand er fast spurlos aus dem Gedächtnis der Rundschau, und die Zeitung arbeitete weiter, wieder besser jetzt, ohne ihn.
Ein neuer Chef kam; der machte Kutschen-Meyer zum Fahrdienstleiter und hatte keine Furcht vor Gabelbach; der fragte David eines Tages, wer dieser verdammte Archipenko sei; der hatte, bevor er ins Haus kam, die Jahrgänge der Neuen Berliner Rundschau durchgesehen, und als er von Entwicklung sprach, empfahl er seinen Mitarbeitern das Studium einer entlegenen Weihnachtsnummer und der Wünsche, die eine Straßenbahnschaffnerin und ein Polizist im entlegenen Jahr fünfundvierzig geäußert hatten; der lernte bald, sich zu fürchten vor dem Ruf: Es fehlt noch was!, der war auch studiert und durchaus nicht unerfahren im Umgangmit Ideen und Erscheinungen, aber zunächst einmal saß er stille da und arbeitete sich langsam vor bis zu dem Satz: So ein Verlag ist ein Betrieb besonderer Art.
Und auch dieser Chef blieb nicht lange, und mit ihm ging das so: Da er wußte, daß er neu war, ging er behutsam durch das Haus und merkte sich die Besonderheiten und kam dahinter, warum Johanna Müntzer in der Redaktion Penthesilea hieß und in der Rotation Petersilie, kam hinter die Prinzipien, nach denen Gabelbach Bilder sammelte, und hinter dessen Tick, von Wirrwarr zu reden, wenn vom Organisationsaufbau der Rundschau die Rede war, kam zu Kenntnissen über die Ehegeschichte der Kaderleiterin Carola Krell und die homerische Beredsamkeit des Botenmeisters Ratt, kam dank Fräulein Lilo aufs laufende über Leserbriefe und die prägende Art von Fachleuten, und dank Kutschen-Meyer kam er aufs laufende über den Unterschied zwischen Intellektuellen und fortschrittlichen Intelligenzlern.
Und mit dem Besonderen faßte er auch das Allgemeine: die Umlage-Bräuche, den Kampagnen-Zyklus, die kleinen Brigaden-Kriege, die großen Schlachten um eine zusätzliche Reinemachefrau, den unregelmäßigen Rhythmus zwischen Planziel und Planziel, das Gebirgsprofil der Arbeitsproduktivität, die Prämientänze und die Wortmusik zum Internationalen Frauentag, die Großmacht Hauptbuchhalter und die Allmacht der Vereinigung Volkseigener Betriebe, kurz und harmlos VVB genannt.
Diese, gerade diese und ihre Allmacht und die Unerforschlichkeit ihrer Ratschlüsse erfaßte er besonders gut, denn eben als er zu glauben begann, nun einiges zu wissen vom Wesen seiner neuen Arbeitsstätte, eben da, nach einem Jahr, rief man ihn ab von seinem Posten, ein anderer, höherer wartete schon auf ihn.
So ein Verlag ist auch nur ein Betrieb.
8
Zur Amtszeit des Nachfolgers des Nachfolgers des Nachfolgers von Kutschen-Meyer, zur Amtszeit des dritten ordentlichen und ausübenden Chefredakteurs der Neuen Berliner Rundschau also, fand David im Wirtschaftsdienst vom ADN eine Meldung, die ihm sehr gefiel.
Nach der geltenden Ordnung hätte er sie Jochen Güldenstern zuleiten müssen, denn der war für Wirtschaft zuständig, und auf Zuständigkeiten wurde seit dem Amtsantritt des dritten Nachfolgers sehr gehalten. Aber David nahm die Meldung an sich und ging zu Johanna Müntzer. Auch das war nicht in der geltenden Ordnung. Ordentlich war es vielmehr, daß, wer
Weitere Kostenlose Bücher