Das Impressum
eine Idee hatte, diese in der Wochenberatung oder in dringenden Fällen sogleich und zuerst dem Chefredakteur vortragen mußte. Das hatte seine Logik; es straffte die Organisation, erhöhte die Operativität, stärkte die Stellung des Chefs und dämmte den Einfluß Penthesileas ein.
David nahm an, gerade dieser Punkt sei im Auftragskatalog des dritten Nachfolgers nicht gerade der allerletzte. David verstand das, und halben Herzens billigte er es sogar. Wenn Johanna »jetzt hier« sagte, und sie sagte es immer noch sehr gerne, klang es immer noch wie die Beschreibung einer Wüstenei oder doch eines Minenfeldes, und die Skepsis gegen ihre Mitbürger hielt sich immer noch die Waage mit dem Vorsatz, ein neues Menschenbild zu formen. Die AIZ war ihr Fetisch geblieben und die Verirrungen zu Archipenko hin das große Schrecknis, und sie versuchte weiterhin, sich und andere auf die Beispiele der Großen Jahre zu orientieren, auch dort, wo die Großen Jahre schon aus historischen Gründen gar kein solches Beispiel hatten herleihen können.
Sie selbst blieb dennoch für David ein Beispiel, auf das er immer sah. Mochte sie ihn auch manchmal mit ihrem Argwohn gegen alles, was in den Großen Schriften nicht vorgesehen war, zur Verzweiflung getrieben haben – sie hatte ihn gezwungen, sie zu überzeugen, sie hatte ihn zum Denken gezwungen, zum Nachdenken und auch zum Vorausdenken.
Mochte sie auch oft über ihn hergefallen sein als Penthesilea – sie hatte ihn geschützt vor mancherlei Gefahr; vor der Gefahr des Hochmuts, der ein Partner zu sein schien der Geschicklichkeit, mit der David mit Worten umzugehen lernte; vor der Gefahr des Kleinmuts, der über ihn kommen wollte, wenn vor seinen Augen ein Traum oder, schlimmer noch, ein Stück Arbeit zu den Wolken verdampfte; sie hatte ihn zu schützen gesucht, nicht immer erfolgreich, aber doch so, daß er dem Selbstzweifel offenblieb; hatte ihn schützen wollen vor Eitelkeit, Siegestrunkenheit, Wehleidigkeit, Überschätzung seiner Kräfte, Unterschätzung seiner Kraft, blinder Hingabe und augenblitzender Kommandofreude.
Sie hatte ihn mit List vor Höhenrausch und Tiefenrausch bewahrt, indem sie ihn über Jahre in der Mitte hielt, ihn nicht aus der merkwürdig vag umrissenen Dienststellung eines Assistenten entließ, in der er gelegentlich zwar der mächtige Arm der Herausgeberin sein konnte, immer aber der Arm nur blieb von Johanna Müntzer.
Der dritte ordentliche und ausübende Inhaber des Spitzenplatzes im Impressum hatte auch dies geändert; ein wenig zwar nur, aber doch so, daß etwas mehr Ordnung ins Haus kam und etwas weniger Einfluß aus dem Büro der Herausgeberin in die Geschäfte der Redaktion. Im Stellenplan hieß David nun nicht mehr Assistent der Herausgeberin, sondern Redaktionsassistent, und die Weisungsberechtigung an ihn hatte der dritte Nachfolger selber inne.
David merkte bald, worauf das hinauslief; während er vorher eine Art Redakteur zur besonderen Verfügung gewesen war, vornehmlich zur Verfügung Penthesileas, und beinahe nach Herzenslust auf allen möglichen Hochzeiten hatte herumtanzendürfen, wurde er jetzt mehr und mehr mit organisatorischen Aufgaben befaßt.
Auch das hatte seine Logik, denn unter den Oldtimern der Rundschau war er eine alte Hand, wußte um die Maschinerie des Hauses und den Mechanismus des Geschäfts und mußte dem dritten Nachfolger, der aus einer Tageszeitung gekommen war, hochwillkommen sein. Aber während David die allgemeinen Neuerungen zumindest halben Herzens billigte, sperrte er sich gegen diese spezielle Änderung aus ganzem Herzen. Er begriff, der Apparat bedurfte der kundigen Wartung – der hatte an Umfang gewonnen und wurde komplizierter mit jedem Jahr und war mit Faustregeln nicht mehr zu beherrschen –, aber er war Journalist und kein Verwaltungstechniker; er wollte sehen und hören und schreiben und nicht Akten durchsehen und Buchhalters Klagen hören und Grundmittelanforderungen schreiben.
Deshalb gefiel ihm die Meldung im ADN-Wirtschaftsdienst, deshalb leitete er sie nicht zu Jochen Güldenstern, deshalb ging er mit der Idee, die an der Meldung hing, nicht zu Nachfolger III und wartete auch nicht bis zur Wochenberatung, deshalb nahm er das Fernschreiberblatt und ging zu Johanna Müntzer.
»Ich hab was«, sagte er, »soll ich es vorlesen?«
»Das wird faul sein«, sagte sie, »wenn du zu mir damit kommst, wird es eine Intrige sein, natürlich eine positive Intrige, wie du so etwas nennst, aber positiv wird sie
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