Das Impressum
David sein Auge noch einmal drauf geworfen hätte. David, ich muß es dir sagen: Du hast einen Blick fürs Potentielle. Wenn es mir nicht gegen die Natur und wenn es nicht überhaupt gegen die Natur ginge, würde ich sagen: Du hast einen Zukunftsfühler.«
»Gut«, sagte der dritte Nachfolger, »da danken wir bestens, Genossin Müntzer, und ich will das gleich einmal verbinden. Ich hätte sowieso noch das Wort ergriffen zumPunkt Verschiedenes, und hier läßt sich das gut verbinden. Auf einen gemeinsamen Beschluß der entsprechenden Abteilung der Obersten Abteilung und der VVB wird im Impressum der Neuen Berliner Rundschau eine gewisse Veränderung vorgenommen, das heißt natürlich: in der Struktur unseres Betriebes. Um die Effektivität unserer Zeitung zu erhöhen, ihre Arbeiten besser zu koordinieren, das Zusammenwirken der verschiedenen Abteilungen mehr zu gewährleisten, die Operativität zu steigern und die Leitungstätigkeit zu vertiefen, wird die verantwortungsvolle Position des Chefredakteurs durch die Ernennung eines Stellvertreters abgesichert, der auch namentlich und als solcher künftig im Impressum der Neuen Berliner Rundschau verzeichnet sein wird. In eingehenden Beratungen wurde der Beschluß gefaßt, zum stellvertretenden Chefredakteur den langjährigen Mitarbeiter unseres sozialistischen Presseorgans Kollegen David Groth zu ernennen. Ich spreche meinen herzlichen Glückwunsch aus und hoffe auf weitere gute Zusammenarbeit!«
Man klatschte Beifall und sparte nicht mit lockeren Sprüchen je nach Temperament. Johanna gab David einen Kuß auf die Wange, was ihn sehr erschreckte, und er sah, daß Carola Krell eine große Papierrose faltete.
Gabelbach bot den raren Anblick eines gerührten Gabelbach, und als er dies merkte, faßte er sich rasch und zitierte den vom Korrespondenten Franz Hermann Ortgies überlieferten Schmerzensruf des Königs von Schweden beim Anblick der feindlichen Befestigungen vor Peenemünde: »Ist denn kein Gott mehr vor mich?« und drückte David gemessen die Hand.
Und David sagte nur: »Dieses zerreißt mich nun!«
9
Es ist aber recht aufschlußreich, daß man einen Vorfall oder eine Geschichte oder auch ein Bild unerhört nennen kann und meint es so oder so.
Einmal ist die unerhörte Begebenheit eine gewesen, die noch nie dagewesen war in allen Tagen, welche vergangen bis zu dem Tag, an dem sich das Unerhörte begab. Und war sie doch dagewesen, so hatte man aber nicht von ihr gehört.
Dann jedoch – zur gleichen Zeit oder später, wer kann es noch sagen – gewann das Wort einen anderen Klang hinzu und zeigte Empörung an; die unerhörte Begebenheit war eine ohne Moral oder eine gar wider die guten Sitten.
Diese zweifache Fracht derselben drei Silben gibt zu denken und läßt einen Verdacht aufkommen, den man scheel nennen mag oder gehässig: Sollte am Ende der Doppelsinn eine Beziehung ausdrücken? Könnte es sein: zur Entrüstung genügte, daß etwas anders war? Anders, neu, gegen Erfahrung, Gewohnheit, Herkommen und Brauch? Waren ein Vorfall, eine Geschichte oder auch ein Bild in dem einen, im moralischen Verstande unerhört, weil sie es, eben weil sie es in dem anderen, dem zeitlichen, waren?
Waren sie es? Sind sie es?
Franziskas Bilder waren unerhört, und die Geschichte, die sie zu dem einen erzählte, war es auch, und unerhört war der Vorfall, von dem Franziska unter unerhörten Umständen erfuhr. Sie lag nämlich in den Wehen, und das ist zwar ein sehr hergebrachter Umstand, aber hergebracht ist auch, daß man in diesen Stunden verschont wird mit haarsträubenden Geschichten, und so war es unerhört, wenn Schwester Turo die ihre, die haarsträubend war im schlimmsten Sinne, dennoch an Franziskas Kindbett erzählte.
Es war eine Liebesgeschichte, die hatte mit Turos Haar zu tun, und Franziskas Bilder hatten mit der Geburt ihres Kindes zu tun, und alles war so unglaublich.
Fran hatte sich zu genau umgesehen, um eine Schwärmerin zu sein, und heilige Schauder waren ihr fremd, aber es war ihr doch seltsam, als sie mit ihrem Koffer in das Taxi stieg, und um sich davonzuhelfen, sagte sie dem Fahrer zur Adresse noch: »Ich geh jetzt Kinder kriegen.«
Der gönnte ihr einen Blick über den Innenspiegel und sagte: »Das steht Ihnen frei, Madame.«
Immerhin setzte er ihren Koffer auf die dritte Stufe der Kliniktreppe, und seine Weise, sich aus den Angelegenheiten seiner Fahrgäste herauszuhalten, war angenehmer als die Art der Pförtner und Aufnahmeschwestern, den
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