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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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es Ihnen erzählen. Und wenn ich wüßte, daß Sie nicht denken, ich warte hier immer nur auf jemanden, dem ich es erzählen kann. Dabei weiß ich nicht einmal, ob es nicht doch so ist. Es ist wahr, ich hab lange nicht darüber gesprochen, aber daß ich nicht darüber hätte sprechen wollen, ist nicht wahr. Man kann sehr allein sein, wenn man Pech gehabt hat, und wenn man davon redet, ist man es nicht ganz so. Sie können mir gleich sagen, ob Sie es hören wollen; ich laß mich rasch noch einmal bei den anderen Damen sehen, dann haben wir Zeit.«
    Franziska war nie sehr scharf auf die Unglücksgeschichten anderer Leute gewesen, und sie hatte mehr als einen Streit mit David gehabt, weil der ein fast süchtiger Zuhörer und Ausforscher war, Unglück oder Glück, Banales oder Ausgefallenes, er raffte alles an sich, was anderen geschehen war, und wenn er auf jemanden stieß, der seine Sache verschlossen hielt, war er beleidigt und wurde mißtrauisch: Was hatte der zu verbergen?
    Fran fürchtete, in Pflichten zu geraten, nach denen es sie nicht verlangte. Man konnte doch nicht einfach zuhören, die Geschichte schlucken und dann schweigen; es wurde eine Meinung von einem erwartet und ein Urteil, und sie war froh, wenn sie für ihr eigenes Leben auf ein Urteil kam.
    Und doch war es ihr jetzt recht, Zuhörerin zu sein, auch wenn die Schwester nichts Gutes verheißen hatte, denn wenn sie sich im Augenblick auch fühlte, als sei alles blinder Alarm gewesen, so wußte sie nun schon, wie rasch sich das ändern konnte, und das Warten darauf setzte ihr zu.
    »Ich hab mich schon öfter mit dem Chef gestritten«, sagte Schwester Turo im Hereinkommen, »ich behaupte, es mußan bestimmten Tagen in der Luft liegen, daß die Männer zu ihren Frauen ins Bett kriechen, und ein Dreivierteljahr später stehen sie dann verwirrt hinter der Glasscheibe; anders ist es nicht zu erklären: Mal ist es so still wie jetzt, und dann wieder denkst du, du bist auf dem Weihnachtsmarkt. Der Chef hält nichts von meiner Theorie. – Ich war vorhin ein bißchen komisch, aber ich habe mich seit einer Ewigkeit nicht mehr fotografieren lassen. Ich hab mir eben gesagt, wenn eine den Mumm hat, jetzt noch mit dem Fotoapparat zu hantieren, dann kann ich ihr auch sagen, warum.«
    Dann sagte sie es, und manchmal dachte Franziska, jetzt wäre es besser, sie hörte nicht mehr zu, aber dann sagte sie sich wieder, nein, das ging nun nicht mehr; sie hatte der Schwester auf irgendeine Weise Mut gemacht, wie, wußte sie nicht genau, aber sie wußte, sie würde ihr den Mut nehmen für lange Zeit, wenn sie jetzt bremste, was da in Gang gekommen war.
    Das Arrangement war etwas seltsam: Die Schwester saß in der Fensterecke auf dem Besucherstuhl und sprach, und Franziska ging langsam zwischen Wand und Wand hin und her und hörte zu. Wenn Turo stockte, blieb Fran stehen, und so kam sie ohne ermunternde Worte aus und gab doch ein Zeichen, daß sie bei der Sache war.
    Die Sache war zunächst nichts anderes als eine etwas altmodisch klingende Liebesgeschichte, und zuerst hatte Fran Mühe, mit ihrer Vorstellung den Worten Turos nachzukommen, denn der Bericht ging von einer sehr entlegenen Gegend und von Haltungen, die sehr vergangen schienen.
    Mein Gott, ein Frauenroman aus der Lüneburger Heide, dachte Fran, als Turos Rede von Wanderarbeitern war und von einem schwarzäugigen Kerl, dem es eine Ernte lang bei ihrer Mutter gefallen hatte, und dann das alte Lied: Ein Kind und kein Vater dazu, blödes Gerede im Dorf, fürchterliche Kinderverse, Weibertratsch von Zigeunerbalg und Hurenkünsten, Katenkammer und Mutterjammer, die Schule, der uralte Alp, ein Pastor, hilflos in seinem Zorn und schrecklichin seinem Mitleid, Starrsinn der Mutter, die nicht fortwollte trotz alledem und nun gerade nicht, gefährliche Freundlichkeit der Männer nach dem sechsten Schnaps und in der dunklen Scheunenecke und der Haß dann, wenn es nichts war mit dem raschen Spaß, die Mutter rackert sich ab, wenigstens da soll man ihr nichts nachsagen können, und das andere: wenigstens ihrem Kind soll man es nicht auch wieder nachsagen können, also: Wo warst du, wo willst du hin, dahin gehst du nicht, du bleibst hier, dir soll es nicht so gehen, geh ins Bett, warum schläfst du noch nicht, was wollte Krügers Willi heute von dir, wozu diese Schleife, willst du sie noch wilder machen, in die Stadt niemals, wir bleiben hier, es kann doch nicht so bleiben, es ändert sich manches, hier muß es auch noch

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