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werden.
Aber der Roman spielte nicht in der Lüneburger Heide, sein Schauplatz war die Uckermark, und wenn Fran auch noch nie dort gewesen war, jetzt war sie dort; die Schwester vermochte zu sagen, was sie sagen wollte. Sie beschrieb einen Herbst am Haff, der alle Erinnerung an Sommer und Feriengäste und Badestrand erschlug. Regen ab September, Nebel ab Oktober, Nässe das halbe Jahr, nasse Wiesen, nasse Wege, feuchte Wände, feuchte Wolle, der Schnee hält sich nicht lange, aber die Gräue des Wassers im Haff hält sich auf Ewigkeit, und ewig quietschen die Windräder der Wasserpumpen im Haffsumpf; hält der Wind an, saufen die Wiesen ab, aber der Wind hält selten an, die Pumpen stöhnen, und die Menschen in all der Feuchte am Rande des Landes saufen und halten den Landesrekord und glauben an Hexen, und was man das Neue nennt, kriegt den Fuß nur schwer auf den nassen Boden.
Zwar, der Bürgermeister wettert: Sie haben jetzt Traktoren hier und Mähdrescher in der Genossenschaft und keinen Gutsbesitzer mehr und eine Mittelpunktschule mit zwei Fremdsprachen und die Gleichberechtigung der Frau vor Arbeit und Lohn und die Fürsorge für die Mütter, auch die ledigen, und eine wissenschaftliche Aufklärung, die kein Hexengerede und keinen Zigeunerquatsch duldet, das ist die neueZeit, die ist kein leerer Spruch, die ist Wirklichkeit, und wehe, er kriegt einen zu fassen, der etwas über Turo sagt.
Aber er kriegt keinen zu fassen; Turo muß sich selber helfen, und sie hilft sich auch. Sie arbeitet und sie liest, und eines Tages wird sie fortgehen.
Aber dann kommt ein Tag, da meint sie, nie wird sie fortgehen, denn das, worauf sie gewartet hat, ist jetzt hier, ist gekommen und bleibt. Es ist ein Mann, aber es wäre nicht richtig, zu glauben, sie hätte auf nichts anderes gewartet als auf einen Mann, gewartet hat sie auf das, was der Mann ist: die Ruhe, die schöne Selbstverständlichkeit, der Schutz, der unversteckte Spaß, der klare Blick auf ein Ziel, die Sicherheit, die Zärtlichkeit, die in der Stärke wohnt, der Anfang eines neuen Lebens.
Noch braucht das neue Leben Geduld, noch wohnt der Mann mit anderen zusammen in einem Wagen, noch ist seine Arbeit in ihrem Anfang, noch geht sie vor und hält ihn lange auf, aber, und das ist der Ausschlag, er wird bleiben, er wird der neue Meister der Pumpenstrecke sein, er wird hier bauen, für sich und für Turo. Bis dahin ist noch kein anderer Platz für die beiden als im Unterbau der großen Flügelpumpe; dort dreht sich zwar die Welle, sie dreht sich erstaunlich schnell auch bei trägem Wind, dort beißen zwar die Zähne des Getriebes ineinander, sie schnappen kreischend zu, daß es sich bedrohlich anhört in der Nebelstille, aber den Unterbau trennt ein Gitterkäfig von dem Rest der Welt, eine Türe ist verschließbar, eine Leiter geht es hinab, in die Nähe von Wellen und Rädern zwar, aber da ist auch eine trockene Planke und zwei dicke Decken und ein Kissen sogar, und ein Platz, an den niemand sonst kann, ein Platz für Turo und ihren Mann.
Seltsam, dachte Fran, als sie erzählte, wie häßlich es war, hatte ich Furcht, es würde noch häßlicher werden, und jetzt, da sie sagt, wie schön es war, fürchte ich mich noch viel mehr. Sie spricht von dem Schönen wie von etwas Totem, das ist es, und ich höre zu und müßte doch wissen: Das ist jetzt keine Geschichte für mich, denn sie geht nicht gut aus,und ich stecke selber in einer Geschichte, von der man weiß, daß sie manchmal noch ein häßliches Ende hat.
Es ist unerlaubt, was diese Schwester macht, es ist gegen alle Regel, ich hab ein Recht auf regelrechte Behandlung, ich merke doch, es zieht schon wieder heran, das Kind ist fast schon auf der Welt und muß gleich solche Sachen hören, was soll es denn denken von uns und der Welt?
Dann merkte Fran, daß sie stehengeblieben war und sich am weißlackierten Bett festhielt, und sie spürte, wie der Schmerz noch weit in der Ferne kehrtmachte, oder wenn nicht kehrt, so doch halt, und jetzt lagen die Dinge wieder anders, jetzt war ihr leicht, und sie war stark, wer sagte da, daß sie die Kraft nicht hätte für ein böses Märchen aus der Uckermark; den wollte sie sehen, und jetzt wollte sie diese Moorballade weiterhören, mochte es gehen oder brechen, und lange konnte es so nicht mehr dauern, die Geschichte nicht und das Warten nicht, und das eine verging mit der anderen, da hörte sie doch besser zu.
Turos Erzählung kam an ihr schlimmes Ende dort, wo sie gerade
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