Das Impressum
schön geworden war:
Eine begreift eben, was Glück ist, was einer einer sein kann und eine einem; sie pfeift auf das Dorf und hört nicht auf der Mutter Vergleiche zwischen dem Wanderer damals und diesem hier, der andere war ein Schatten, und dieser ist Fleisch und Blut, der andere war der Beginn des Unglücks, und dieser ist der Beginn des Glücks, den anderen hat es nie gegeben, und diesen wird es für immer geben, da geht sie an jedem Abend zu der lustigen Pumpe, ganz oben schwingt sich das mächtige Blätterrad durch den Wind, ist ein nützliches Karussell, gibt von seiner Kraft an die schlanke Welle weiter, die dreht sich flink und fleißig und bringt die Kraft nach unten ins Getriebe, das Getriebe nimmt der Welle die Kraft ab, gibt ihr eine andere Richtung und einen anderen Rhythmus, aus dem Kreiseln wird ein Auf und Nieder, aus der raschen Propellerfahrt ein fast gemächliches Schöpfen, die Pumpe kreischt nicht, sie pfeift und singt, die Pumpe ist kein heulendes Nebelgespenst,sie ist Zufluchtsort und Ausgangspunkt für alle Zukunft, und dann, einmal, mitten im Glück, ist sie doch das mahlende Ungeheuer, beinahe eine Mörderin, aber Schlimmeres noch, Mörderin aller Träume, Mörderin aller Zukunft, ein kreischendes Ungetüm, das mit stählernen Zähnen in das Haar eines Mädchens greift, eine Schleuder, die alle Hoffnung zerreißt, und ein Deicharbeiter, der auf dem Heimweg ist, denkt noch: Die elende Pumpe, jetzt schreit sie schon wie ein Mensch! und: Man wird es den Wasserwerkern aus der Stadt sagen müssen; wenn eine Maschine so schreit, das ist unmenschlich!, und weil der Deicharbeiter einer von denen ist, die stillestehen müssen, wenn sie denken wollen, bleibt er noch so lange an seinem Fleck, bis das Pumpwerk wieder seinen alten Ton gefunden hat, der fast gemütlich klingt und anheimelnd jetzt, da der andere, der unmenschliche, nicht mehr mitgeht in dem Geräusch aus Räderwerk und Wind, und so sieht der Mann, der auf dem Heimweg ist, etwas über die dunkle Wiese kommen, und nach Stunden erst, als er aus dem Krankenhaus der Stadt endlich nach Hause fährt, weiß er: Es war doch nicht die Pumpe, die da so geschrien hat.
»Wissen Sie«, sagte die Schwester Turo, »manche Dinge, die man macht oder denkt, stimmen einfach nicht. Sie sind die richtigen, aber wenn man sie ausrechnen würde oder messen mit dem, was man vernünftig nennt, dann würde man sehen, daß es gar keinen richtigen Sinn ergibt. Sie werden jetzt denken, das, was ich sage, hat auch keinen richtigen Sinn, aber mir fehlt nur der Ausdruck dafür, die Vorstellung hab ich schon. Ist das schwer, aber ich will es mal so versuchen: Wenn der Deicharbeiter nicht gewesen wäre, das ist klar, dann wäre ich nicht mehr am Leben. Das ist ganz einfach, das hat mit Blutverlust zu tun, mit der Verletzung eben, die man Skalpierung nennt. Ich wäre da irgendwo über Nacht liegengeblieben und aus. Aber das ist es nicht, denn ich hatte noch wochenlang im Krankenhaus die Möglichkeit, einfach aufzugeben. Ich sage: einfach, und das meine ich. Ich bin ganz sicher, es gibt einen Punkt, da hat man sich selbst inder Hand; läßt man los, dann ist es vorbei. Und ich hatte alle Gründe loszulassen. Was sollte ich noch? Für wen? Für meine Mutter? Der war ich schon einmal eine Last gewesen, sehr lange, und jetzt würde ich wieder eine Last für sie sein; die war besser dran ohne mich.
Und die Leute im Dorf? Im Leben nicht. Es gibt Meinungen, an denen kann nichts etwas ändern. Die hatten doch recht behalten: Mit mir war es nicht geheuer, und das war die Strafe.
Oder der Mann? Der hat das Weite gesucht; ich kann es ihm nicht verdenken. Einmal war er noch mit Blumen im Krankenhaus, und er ist beinahe ein zweites Mal in Ohnmacht gefallen. Er hat gesagt, als die Polizei den Unfall untersucht hat, er ist in Ohnmacht gefallen da unten in der Pumpe, und als er zu sich kam, war ich weg. Ich glaub’s. Er hat mir noch einen kümmerlichen Brief geschrieben; wer will ihm denn einen Vorwurf machen, ich war ja nicht mehr die von vorher. Und nun das, was nicht stimmt: Ich hab mich an den Deicharbeiter gehalten, wenn es darum ging, ob ich nun einfach zu atmen aufhören sollte oder nicht; es wäre nicht schwer gewesen. Ich weiß, allgemein geht das Herz, ob der Mensch will oder nicht, aber ich weiß auch: Wenn ich gewollt hätte, wäre es stehengeblieben. Ich wollte nur nicht, und das ist die Unstimmigkeit, ich wollte nicht, wegen diesem krummen Kerl aus dem Dorf, dem
Weitere Kostenlose Bücher