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nicht ineinander auf, nicht einmal Parallelen werden sie sein, wüstes Geschlängel steht zu erwarten; das bedenke erst einmal in Ruhe, dann reden wir in Ruhe weiter.
»Ick versuch det jetzt schon mal«, sagte der Genosse Kutschen-Meyer und ging mit David hinaus.
In der Kantine holte er zwei Bier vom Tresen, steckte sich eine Zigarre an, seufzte und hustete, klebte zweimal die Zigarre, wischte mit dem Taschentuch an seiner trockenen Nase herum, rückte seinen Stuhl näher an Davids heran, und dann erst redete er: »Zuerst mal zu dem Gabelbach. Nehmenwir an, ich hätte den fünfundvierzig getroffen oder sechsundvierzig oder auch noch siebenundvierzig, im Anfang, meine ich, und denn hätte mir einer gesagt: Du, der hat bei Goebbels mitgemacht, Bücher hat er gekokelt und arische Reinigung betrieben – was meinst du, wo ich eine Kleinigkeit später gewesen wäre? Bei meinem alten Knastgefährten, dem Genossen Polizeipräsidenten, und zwar in seinem Knast: Schwere Körperverletzung. Und aus der Partei wäre ich raus gewesen, nach dreißig Jahren, wegen individuellem Terror.
Entschuldige mal, wenn ich das sage, aber Gründe, daß ich dem die Gräten breche, die hatte ick ’n paar mehr als du. Das ist kein Vorwurf gegen dich; du warst nur nicht alt genug für meine Gründe. Ist ja auch Grund genug, wenn einer Bücher verbrennt. Den Kerr, den kenn ich nicht, aber von denen, die sie auch noch verbrannt haben oder verboten, von denen kannte ich viele. Ick bin mit Erich Weinert auf ’m Wedding rumgemacht; den Becher sein Motorrad hab ich mal gestemmt, dreimal über den Kopf, da war der noch so wild, kein Gedanke an Minister; na, und der Wladimir und die Anna, die so schön war, aber Haare auf den Zähnen; sogar mit Brecht hatte ich einmal zu tun, der kam mir damals ziemlich albern vor.
Also, Gabelbach war gut dran, daß ich nicht gleich wußte, wo er mitgemischt hat, und ich war auch gut dran.
Dann, eines Tages, da hat er schon eine ganze Weile hier gearbeitet gehabt, immer saubere Arbeit, weißt du ja selbst, ist er hin zu Johanna und hat ihr klaren Wein eingeschenkt. Die ist hin zum ZK, und denn hatten wir Leitungssitzung; Xaver Frank war auch mit bei, der ist extra rübergekommen; ick werde den Verdacht nicht los: meinetwegen. Wir haben Gabelbach seine Erklärung gelesen, dann haben wir mit ihm geredet. Ich nicht, ich hatte eine Stinkwut, aber laß nur, Johanna auch, wir alle eben.
Ich habe nur gewartet, daß er das Persil rausholt und die große Reinwaschung anfängt: Er hat mal einen Juden gekannt und hat ihn auch fünfunddreißig noch gegrüßt, oderer hat einem Polenmädchen einen Kamm geschenkt, den er selber noch hätte brauchen können, und diese feinen Histörchens. Allerdings, dieses war nicht.
Wieso er vierunddreißig das Studium aufgegeben hat? – Daraus hätte er eine große Rede machen können; wer hätte denn mit ihm streiten sollen, wenn er was von Reue erzählt hätte oder wat von Einsicht und bewußter Abkehr von den germanischen Studien?
War aber nicht die Rede davon bei ihm. Allenfalls, hat er gesagt, ist er mit den Widersprüchen nicht fertig geworden, und die Lösungen, die sich anboten, die sich angeboten haben, die wollte er nicht. Sagt er. Da hat er denn Fotograf gelernt, noch mal als Stift, und denn ist er bei der ›Geflügel-Börse‹ untergekommen; das war eine Zeitung für Taubenzüchter.
Von da an hat er nur noch preisgekrönte Hühner geknipst und war bloß noch in der Arbeitsfront. Mußte er ja, sonst war nischt mit Arbeit.
Kann einer sagen, wat er will: Erst Student und lustig, und denn Hühnerfotograf: Ein Wechsel war das schon.
Und das hat mir gefallen: Als sie in der Leitung gefragt haben, ob er zu dem Geflügel gegangen ist, weil es unpolitisch war, hat er gesagt, nee, es war was bei zu verdienen.
Lang hat die Freude ja auch nicht gewährt; Polen, Frankreich, Griechenland, Afrika, Italien retour, ab nach ’n Mississippi in Gefangenschaft, da ist er krank geworden, und Frühjahr fünfundvierzig war er zu Hause.
Stabsgefreiter war er, das zeugt nicht gerade von Aktivität, Bildauswerter in so einem Divisionsstab; ist geprüft worden.
Nee, Junge, der hat sich ein böses Ding geleistet, und dann nichts mehr. Keine Ruhmestaten, aber auch keine Schweinereien.
Nu is er ja auch religiös, soweit man weiß, vielleicht hat das mitgespielt.
Mit einem Wort: Man kann nicht sagen, seine Vergangenheit interessiert keinen, aber man kann sagen: Seine Vergangenheitist eine
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