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Vergangenheit. Du verstehst, vorbei ist die, lange weg.
Natürlich: Freund werde ich nie werden von dem, aber das verlangt auch keiner. Nur, was sie von uns allen verlangen können, von mir, von dir, das ist, daß wir uns nicht aufspielen und Theater machen, wenn uns was nicht gleich einleuchtet.
Ich kann mir vorstellen, warum du dich aufgeregt hast: Weil das ’n bißchen mit Gespensterei zu tun hat oder wenigstens so aussieht. Du denkst auch, die Vergangenheit ist weit, weit weg; die ist aber bloß dreizehn Jahre weg, Junge.
Das macht man sich nicht klar, und dann fährt einem das in die Glieder, wenn man merkt, der Nebenmann war schon bei den alten Germanen dabei, oder man selbst hat schon zu Zeiten der alten Germanen gelebt.
Der große Trick von unserer Gegenwart ist eben, daß der Abschied von eine ungeheuer lange Vergangenheit gerade erst stattgefunden hat, und daß ein paar Stücke Zukunft auch schon anzutreffen sind, alles durcheinander, und da kommt einem auch das Zeitgefühl durcheinander. Gerade schaffen wir die Fleisch- und Fett- und Zuckermarken ab, also ein Stück Krieg und germanische Vergangenheit, und zur gleichen Zeit verabreden wir, daß nun eine Erdölleitung rüberkommt, vom Kaspischen Meer rauf bis hier, und an der hängt natürlich für uns jede Menge Zukunft.
Nun glaube ich aber, daß eine von den wichtigsten Aufgaben, die der bewußte Mensch heute hat, die er einfach bewältigen muß, die ist, daß er sich einen richtigen Zeitbegriff macht.
Ich meine, wann er lebt; wie die historische Lage da ist.
Natürlich, wichtig war das schon immer. Wenn ich so sehe, jetzt bei der Schulung kam ich mal drauf, wie Marx und Engels sich rumgetastet haben, um rauszufinden, wo sie eigentlich sind, wie die Lage ist – das war anstrengend, glaub ich.
Anstrengen muß man sich schon, sonst wird ebent nischt.
Die historische Lage ist so, daß wir hier nicht auf Schulung sind, entschuldige!
Als der Krieg zu Ende war, mußte man auch rausfinden, wie die historische Lage ist. Eigentlich gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man fing an, endlich anständige Arbeit zu machen, und zwar mit allen, die mitmachen wollten – die richtigen Banditen natürlich ausgenommen; oder aber man konnte sagen: Alle, die mit den Braunen zu tun hatten, haben hierbei nischt zu suchen – da hätten wir denn wohl das Volk abschaffen müssen; komischer Gedanke, nicht? Ick sympathisiere mit deine Aufregung, David, aber billigen kann ich sie nicht, weil sie nicht richtig historisch ist. Für deine Extratouren hab ich viel übrig, aber eines, das sage ich dir mit mein’ vollsten Ernst, eines ist für einen Genossen die furchtbarste Scheiße, in die er geraten kann: daß er meint, er ist schlauer als die Partei.
Wenn du es genau nimmst, David, denn haste eine Menge Wirbel veranstaltet und eigentlich nur allen Leuten den Nerv gestohlen. Ich werde es mal folgendermaßen ausdrücken: Du hast etwas Unverhältnismäßiges aufgezogen. Hättest du gefragt, von mir aus energisch und wütend: Wie liegen die Dinge?, dann hätten wir das ganze Theater nicht nötig gehabt. Das halbe vernünftige Leben besteht aus Frage und Antwort, aber eben das vernünftige.
Bloß, du wolltest ja nicht Antwort, du wolltest Rechenschaft, und da sind wir zur Zeit alle ein bißchen empfindlich.
Wenn ick dir einen Rat geben darf: Halte dich ruhig für schlau, halt dich von mir aus sogar für schlauer als jeden anderen, trotzdem das natürlich schon gefährlich ist, aber glaube nie, du kannst gegen die zusammengelegte Schlauheit der anderen ankommen. Die Partei ist – wenn wir nun schon einmal über so etwas reden – in meinen Augen genau das: zusammengelegte Schlauheit.
Aber zu dem kommt ja nun noch eine ganz andere Art von Schlauheit, sagen wir mal, Erfahrung. Sagen wir mal, es geht um eine konkrete Frage, nehmen wir Lohnerhöhung, vielleicht zwei Prozent.
Das mindeste, was du da bei der Partei findest, ist die Erfahrungvon tausend verschiedenen Plätzen, an denen sie das gleiche Problem hatten. Von Indien bis Island, bei den Japanern und bei Krupp, wo du willst. Natürlich, die Lage ist immer verschieden, aber was Gemeinsames ist auch immer da, wat bekanntlich die Gesetzmäßigkeiten sind. Wer will denn nun eine Partei schlagen, die die Antworten auf tausend Fragen von Indien bis Island und Krupp eingesammelt hat und dann sortiert und dann ausgewertet? Wer will denn gegen soviel zusammengelegte Schlauheit an?
Meine Überzeugung: Von außen ist da
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