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nischt zu wollen!
Von innen allerdings, das ist eine andere Frage. Haben wir ja gesehen, wie das geht.
Ich bin kein Spezialist für Widersprüche, aber soviel scheint mir klar: Wenn du als Partei dafür kämpfst, daß deine Mitglieder aufhören, ihre Kräfte zu unterschätzen, dann kriegst du, als Partei, sicher irgendwann mit dem Problem zu tun, daß sich nun einige überschätzen.
Junge, ick sage dir: Die dicken Dinger, die kommen noch, wenn wir uns nicht drauf einstellen.
Deshalb ist es gut, wenn wir uns gleich den Magen reinemachen; det ist zwar unangenehm, aber nicht tödlich.
Und vor Ungerechtigkeiten sind wir da nicht gefeit. Vielleicht war das ungerecht, daß die Leitung dir die alten Sünden vorgeführt hat, wo du eine an sich berechtigte Frage hattest. Bloß war sie als Frage kaum noch zu erkennen. Du hast die geschwungen wie ’ne Axt.
Gabelbach hat sich vor fünfundzwanzig Jahren wie ein dummes Schwein benommen – ick lege auf beide Wörter Wert! – und seitdem, soweit man es übersehen kann, wie ein anständiger und vernünftiger Mensch. Was man übersehen kann, ist jedenfalls anständig und vernünftig, aber det müßtest du durch deinen täglichen Umgang eigentlich besser einschätzen können als ich.
Richtig einschätzen mußte, Junge, sonst wird nischt!«
Er trug die beiden leeren Gläser zurück an den Tresen, steckte seine Zigarre wieder an und schaukelte schwer undvorsichtig durch die Kantine davon, ein besorgter Elefant, ein Riese mit Problemen, eine ungeheure Wohltat: der Genosse Kutschen-Meyer.
David entsann sich gut: Damals, nach dieser seltsam umschweifenden Predigt, hatte er noch lange in der Kantine gesessen, hatte noch lange der Leitung gegrollt und ihr die politische Rechnung gemacht: Oh, er hatte einiges gefunden, was er der Leitung hätte anlasten können, und wo sich im vorhandenen Sündenkatalog die passenden Bezeichnungen für die Abirrungen seiner Leitung nicht finden wollten, da zeigte sich David erfinderisch, zeigte sich lange noch als ein verletzter Mensch voll Einfallsreichtum, ehe er sich allmählich dann doch wieder als ein Genosse bewährte, der fähig ist zu dem Gedanken: Vielleicht aber haben die anderen recht?
Diesen Gedanken denkt niemand in einem Zuge, niemand jedenfalls, der wie David ist; es ist eine Idee, die unerträglich scheint. Deshalb tritt sie zunächst nur in Ansätzen auf, ein Schimmer eher als ein erleuchtender Schein. Dieser Gedanke kommt nicht mit geraden, zielsicheren Schritten; er wird getanzt, tastend, stolpernd, ohne erkennbare Choreographie; erkennbar sind nur schwache Vorsätze und starke Widerstände, und das Mittel daraus scheint die Ausflucht zu sein.
So schwer wälzt sich kein Stein hügelan, wie es sich denkt, die anderen könnten im Recht sein – aber das Dumme ist: Ist man in der Partei, dann muß der Stein hinauf.
Und das Gute ist: Er kommt hinauf; hier hilft der gute Wille viel. Und gut ist: Die Parteileitung hat sich lange vernehmen lassen, nun schweigt sie und stört nicht weiter. Sie stellt nicht zurückwerfende Zwischenfragen, erkundigt sich nicht nach dem Denkprozeß, unterläßt alle Ermunterung – da kommt David voran.
Zu einem bedeutenden Ende kommt es nicht; es kommt einfach zu einem Ende: Man spricht nicht mehr davon.
Freilich, die Sache mit Gabelbach dauerte etwas länger. Es blieb David nichts anderes, als den Gedanken an jenen Gabelbach abzusperren, abzudrängen, fortzudrücken aus denGesprächen, den notwendigen Besprechungen, den ganz normalen Unterhaltungen mit diesem Gabelbach; es blieb nur, jenen von diesem zu trennen, zwei Personen aus der einen zu machen und die eine zu vergessen.
Das ging auch, aber nur durch längere Übung.
David hatte zunächst gemeint, irgendwann werde es seine Pflicht sein, mit dem Fotografen ein offenes Wort zu wechseln, ihm die Skrupel zu gestehen und die Fragen zu stellen, aber das Problem verlor an Dringlichkeit mit jedem Arbeitstag, der von David und Fedor Gabelbach das gleiche verlangte.
Und von der Art waren, genau besehen, alle Tage der seither vergangenen neun Jahre gewesen. Diese neun und die dreizehn vorausgegangenen dazu waren mehr als nur eine bestimmte Menge verstrichener Zeit; es war ein Zeitraum, in dem zwei sehr verschiedene Leute unablässig auf ein und denselben Gegenstand, auf dieselbe Aufgabe, auf gleiche Probleme, auf ähnliche Pflichten gesehen hatten; sie nicht allein, aber sie auch und sie nicht zuletzt hatten die NBR aufgebaut, ausgebaut, verändert,
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