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Das Impressum

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Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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fragte gleichmütig: »Was machst’n so was mit, wenn es dir so germanisch ist? Und hast du schon mal geprüft, ob du selber sang- und klanglos in die Kuhle geschippt werden möchtest?«
    »Es muß nicht sang- und klanglos sein, nur diese Absprachen, die keiner mehr versteht, und jeder hält sie ein, und so sieht es dann auch aus, das biegt dich doch auseinander! Nimm nur dieses Schlangestehn, damit sie dem Teuren die drei Handvoll Erde auf den Kasten werfen können, das wäre eine Nummer für Marceau. Mußt mal zusehen bei Gelegenheit, du glaubst nicht, wieviel Arten es gibt, in eine Schippe voll Sand zu greifen, und wieviel Möglichkeiten, mit Kies zu schmeißen, zwischen sachte durch die Finger rieseln lassen und mit Wucht von oben nach unten feuern entdeckst du eine lange Skala von Sandbewegung, wenn du erst einmal darauf achtest. Und dann anschließend die Klemme: Wie kriegen sie ihre Finger wieder sauber? Die hellen und kindlichen Charaktere erkennst du gleich, die wischen sich dreimal über die Hose, Problem gelöst, aber du kannst auch welche sehen, die polken eine Viertelstunde verstohlen Krümel für Krümel ab, und einen hab ich mal beobachtet, der ist damit überhaupt nicht zu Rande gekommen, der hat die schmutzige Hand hängen lassen, als wäre sie gelähmt, bis auf die Straße. Und auch die Nummer: Ich bin jetzt ergriffen! wird in vielen Varianten angeboten, Stanislawski-Etüden, sage ich, Theater, sage ich dir!«
    »Ich sehe«, sagte Jochen Güldenstern, »wer dich als Trauergast hat, kann sich über mangelnde Anteilnahme nicht beklagen.«
    »Nein, an mir allein kann das nicht liegen. Vielleicht macht es die Häufigkeit, die Gewohnheit, die abstumpfende; es sterben einfach zu viele Leute. Ich habe den Eindruck, immerfort stirbt einer, aber vielleicht liegt es daran, daß man älter wird. Wenn du jung bist, sind auch deine Freunde jung, da ist der Tod noch eine Seltenheit, und so wird dir eben klar: Wenn sie um dich herum sterben, bist du auch bald reif.«
    »Ja, du«, sagte Jochen Güldenstern, »wie alt bist du gleich, achtzig oder bald neunzig? – Das hängt auch mit deiner Stellung zusammen: Als Chef dieser Zeitung bist du eine öffentliche Anstalt. Mit wie vielen Leuten hast du zu tun gehabt, als du bei uns angefangen hast, so, daß du auf den Friedhof gemußt hättest, wenn es bei denen soweit gewesen wäre? Und jetzt? Ich seh’s doch schon an mir, ich mache nur die Ökonomie, aber kenn ich da tausend Leute oder zehntausend? Manchmal denke ich, zehntausend, und wenn’s dann ein Problem gibt, ist es immer noch einer zuwenig. – Kann ich mal zur Sache kommen? Ich bin nämlich eigentlich schon dabei.«
    »Natürlich«, sagte David. »Ich höre zu.«
    Er hörte zu, und manchmal war ihm, als hörte er sich selber reden. Jochen Güldensterns Problem war auch seines, und er wußte: nicht nur seines.
    »Mit dem Kraftwerk Nord fing es an«, sagte Güldenstern, »oder sagen wir: Da wurde es deutlich. Es hat mich schon öfter beschlichen, aber da habe ich mir gesagt: Unsinn, jetzt fängst du an, ein Intellektueller zu werden; mach hier deine Arbeit, dann stimmt die Richtung. Nun weiß ich nicht. Kurz: die Sache mit dem Schreibtischgeneral und seinem schlechten Gewissen.
    Oder ich fang mal anders an: Du weißt, ich kenne den Bienhofer gut; wir haben zusammen in Spremberg Stühle geleimt bei Plötz K. G., und jetzt schreibt er Bücher, aber wir sehn uns noch, und ich staune nur, was der unter der Mütze hat. Wir Spremberger, Mensch! Neulich kommt er und schäumt. Sie hatten Versammlung gehabt im Schriftstellerverband, Parteiversammlung, und der Frauwein hat einReferat gehalten, der Direktor von TKL; wir hatten mal ein Interview mit ihm im Blatt. Der ist ja nicht dämlich, aber sein Referat hat er wohl nicht vorbereitet gehabt.
    Da sind die Meister der Kultur unruhig geworden; sie waren sauer, und darauf hat unser Frauwein wieder sauer reagiert, hat plötzlich angefangen, über die Literatur zu schimpfen: ›Nur alle drei Jahre ein Buch schreiben – was ist das für eine Arbeitsproduktivität? … Wenn man das so liest, denkt man: Alle unsere Menschen sind Sittenstrolche … Alles wird aus dem Zusammenhang gerissen …‹ An dieser Stelle, sagt Bienhofer, hat er sich erkundigt, wen Frauwein eigentlich meint, aber das hat dem nicht gepaßt. Er hat den Genossen Schreibern verkündet, solche Zwischenrufe seien nicht parteimäßig, so was sei überhaupt nicht üblich, jedenfalls dort nicht, wo er herkäme.

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