Das Impressum
dem Namen des Herrn Blumenthal.
Manchmal, wenn David die ersten Bilder und dann die ersten Buchstaben und Zahlen erkannt oder ein schwieriges Wort richtig nachgesprochen hatte, sagte seine Mutter: »Wenn du groß bist, wirst du noch viel mehr lernen dürfen, dafür hat der Herr Blumenthal gesorgt!« So kam es, daß die Lust am Raten und Entdecken und die seltenen Minuten, in denen seine Mutter nicht gar so ängstliche Augen hatte, in Davids Kopf eins wurden mit dem Namen des Herrn Blumenthal.
Manchmal, wenn das Wort Geld öfter als sonst und mit einem Klang, der nicht gut war, ausgesprochen wurde, hörte David seine Eltern einander sagen, aber dem Jungen wenigstens werde diese Sorge erspart, der werde nicht kratzen müssen und nicht buckeln, da habe der Herr Blumenthal vorgebaut. Und so kam es, daß ein Gefühl von ferner Ruhe und unbestimmter und doch bestimmter Erleichterung in Davids Kopf eins wurde mit dem Namen des Herrn Blumenthal. Bis dann der Herr Blumenthal im Küchenbach ertränkt wurde.Oh, der Herr Blumenthal ist nicht ohne eigene Schuld in das Gewässer geraten; hätte er sich anders verhalten, wer weiß, wäre er womöglich noch weit herumgekommen, bis in die Prinsengracht von Amsterdam wohl gar und in die Nachbarschaft von Anne Frank oder bis nach Treblinka in Polen, wo er sicher einen Arbeitsplatz gefunden hätte, er, der Zahnfachmann und Prothesenkenner, einen Platz in der Nähe eines großen, fauchenden Ofens.
Aber nein, es mußte das kalte Wasser sein; Herr Blumenthal hat da seinen Kopf für sich gehabt, und er hat den Stadtverordneten Wolter reizen müssen und hätte doch wissen können, daß der Stadtverordnete Wolter ein ironischer Mensch gewesen ist und ein konsequenter. Doch der Herr Blumenthal hat in einer öffentlichen Sitzung der Stadtverordneten aufstehen und sagen müssen, die soeben gehörte und übrigens sehr nationale Rede des Stadtverordneten Wolter sei so tief und so mitreißend wie der Küchenbach gewesen – der Küchenbach, man wird Ähnliches ahnen, war bei Volltrunkenen sehr beliebt, man konnte sich in ihm ausbreiten und ungefährdet ernüchtern, lag man auf dem Rücken, so reichte einem die Flut nicht ganz an die Ohren; und in der Schule hatte es der Geographielehrer schwer, den Kindern klarzumachen, daß neben den Flüssen auch die Bäche den fließenden Gewässern zuzuzählen seien, denn die Kinder kannten den Küchenbach.
Auch der Stadtverordnete Wolter kannte ihn, und da er ein Mann von schneller Auffassung war, hat er beinahe sofort gemerkt, daß der Herr Blumenthal einen Witz auf seine Kosten gemacht hatte, und daran, daß nur bestimmte Fraktionen der Stadtverordnung und auch nur ein ganz bestimmter Teil des Publikums gelacht haben, hat er gemerkt, daß es ein politischer Witz gewesen ist. Doch auch der Stadtverordnete Wolter ist nicht ohne Schalk gewesen, und schlagfertig war er in mancher Hinsicht, und so ist er im vom Küchenbach bestimmten Bilde geblieben und hat geantwortet, diese Äußerung werde er dem Herrn Blumenthal schon noch eintränken.
Der Stadtverordnete Wolter hat sein lustiges Wort gehalten, und in einer Februarnacht des Jahres dreiunddreißig, einundzwanzig Monate nach der fröhlichen Stunde im Stadtverordnetenhaus, hat er den David Blumenthal so lange in das sandige Bachbett gedrückt, bis der gemerkt hat, daß dieses stille Wasser tief war wie die Ewigkeit und reißend wie der Tod.
Acht Wochen später, an einem kalten Nachostertag, kam David Groth in die Schule, und der Lehrer, ein Mensch namens Kasten, fragte ihn, ob er denn wisse, was dieser hübsche Vorname David bedeute. David wußte es nicht; er hatte den Namen, wie man eine Nase hat oder zwei Füße, und er war erstaunt und auch nicht sehr erfreut, als er erfuhr, David heiße soviel wie »der Geliebte«. Daß kein Grund zur Freude gegeben war, merkte er schon am Tonfall dieses Menschen, der Kasten hieß und sich die Hände rieb, während er ihm mitteilte, er werde ihn fortan unter dem Namen Geliebter Groth aufrufen, denn David, das klinge nun doch zu unversetzt hebräisch, zwar kämen auch andere Bezeichnungen wie Jakob oder vorneweg schon Adam aus derselben Mauschelecke, aber denen sei inzwischen längst deutscher Geist eingehaucht worden, spätestens durch den deutschen Denker Jakob Böhme beziehungsweise durch den deutschen Rechner Adam Ries, von einem bedeutenden Deutschen vornamens David jedoch sei seines Wissens niemals die Rede gewesen, und, übrigens, wie heiße denn Davids Vater,
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