Das Impressum
Stabschef, von dem die Definition der Strategie als eines Systems von Aushilfen stammt.
Ei nun, mein Bester, zwischen uns soll ein offen Wortwohl gelten; da mag ich dir auch sagen: Natürlich habe ich so, wie der Genosse Andermann seinen persönlichen Grund gegen das Denkmal hat, meinen persönlichen Grund für dasselbe. Es ist nämlich keine Kleinigkeit, wenn du ein Bauernjunge gewesen bist in einem Dorf bei Rostow am Don und stehst dann am Fenster Moltke gegenüber:
Da ist vor vierzig Jahren ein Brief in den Weiler gekommen vom Herrn Rittmeister Hochwohlgeboren; der Vater kommt nicht wieder, heißt es, er ist gefallen, und die Weiber im Dorf jammern: Oijeh, er wird uns noch alle fressen, der Deutsche, der verfluchte. Dann holt dich selber der Zar, sollst ihm seinen Krieg führen, doch den Zaren, den jagst du zum Teufel, aber den Deutschen, den kriegst du nicht in die Hölle, den kriegst du nicht aus dem Land, der macht in Brest-Litowsk etwas, das er einen Frieden nennt, und du mußt ihn nehmen, diesen Frieden, und abends auf dem Stroh heißt es: Oi, der Deutsche ist schlau, der hat Generale, die sind schlauer noch als Rasputin. Dann wollen die Weißen dir ans Leben und du ihnen. Sie jagen dich, du jagst sie; bis nach Sibirien geht es, und einmal geht es besonders schwer: Jeder Tag kostet Blut, und du kriegst die Schufte nicht zu packen. Dann hörst du: Kein Wunder, Bruder, sie haben einen bei sich, einen Baron von der Ostsee, der ist beim Deutschen gewesen, hat Strategie studiert, oi, die deutsche Strategie! Dann hast du sie gekriegt, hast auch Strategie gehabt, gehst nach Hause mit dem Befehl: Du mußt Lehrer werden! Setz dich hin, Freundchen, lerne, dein Fach haben wir dir schon ausgesucht. Da studierst du, studierst Deutsch. Deutsche Sprache, deutsche Literatur, deutsche Geschichte. Na, du lernst, und du denkst: Was für ein Volk! Welche Dichter, welche Musik, was für Denker! – Was für Generale, denkst du nicht so oft, aber einige, oh! Dieser Clausewitz zum Beispiel oder dieser Moltke! Dann bist du Lehrer: deutsche Sprache, deutsche Literatur, deutsche Geschichte, sogar ein kleines Theaterzirkelchen hast du aufgebaut, schaffst es bis zu Kleist und Hebbel, kannst sogar deutsche Freunde zu Gast laden, eine Freundin heißt Johanna Müntzer, die hilft deinembesten Schüler, Wanja Kuleschow, noch, den Prinzen von Homburg einzustudieren, aber kurz vor der Premiere ist alles aus, da steht der andere Deutsche wieder im Lande, und du wirst nicht erfahren, ob Wanja sein offenes Grab gesehen hat wie der Prinz, den er spielen wollte, du erfährst nur, ein Grab hat er gefunden, irgendwo. Und du selbst lernst dich fürchten wie der Prinz; der Deutsche hetzt dich, alles um dich herum schlägt er in Stücke und kommt und kommt und kommt, und einmal hörst du dich denken: Kein Wunder, daß sie uns so treiben – Scharnhorst und Gneisenau und Clausewitz und dieser Moltke! Dann aber, eines Tages, nach langen, langen Tagen, drehst du dich herum, und jetzt kommst du; du kommst und kommst, und am Ende kommst du in eine kleine Stadt, von der hast du gewußt, aber nie hast du wissen können: Dort wird einmal Wassilij Wassiljewitsch Spiridonow am Fenster stehen, als Major und Kommandant, und drüben, auf der anderen Seite des Platzes, wird er ein Denkmal sehen, das bronzene Abbild des preußischen Feldmarschalls und deutschen Generalstabschefs Graf Helmuth von Moltke …«
Wassilij Wassiljewitsch sann einen Augenblick seiner Geschichte nach und sah eben noch zufrieden aus, doch dann brüllte er so, daß sogar der Baschkire seine Prawda aus dem Munde nahm: »Und nun dieser Fritze Andermann!«
Den bekam David vorerst noch nicht zu Gesicht, und er wußte auch immer noch nicht, zu welchem Ende er in dieses Dreiecksverhältnis zwischen Spiridonow, Moltke und Fritze Andermann geraten war; zunächst wurde ihm nur geheißen, ein Stück Wurst zu verzehren und einen Schluck aus der Flasche zu nehmen, während der Wagen schon an einer schier endlosen Scheunenreihe vorbei in die Stadt einfuhr.
Schließlich hielten sie vor einem Backsteinbau; der Major umarmte David so heftig, wie er einige Stunden zuvor Johanna Müntzer umarmt hatte, und er flüsterte: »Bruder, steig hinauf dort und verhilf diesem Genossen dort oben zu besserem Verständnis des Generalfeldmarschalls Graf Helmuth von Moltke; sag, du kommst von mir, sag, du kommstvon der Zeitung, sag, was du willst, aber sag ihm vor allem eines: Sag ihm, daß unser Moltke uns bleiben
Weitere Kostenlose Bücher