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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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muß!«
    Da kroch David, halb lahm vom langen Sitzen, halb erstickt durch baschkirische Leidenschaft, halb erdrückt von neuem Deutschenbild und neuem Russenbild, aus dem Kommandantenwagen, und als er die Stufen zum Rathaus hinaufstieg, stöhnte er leise: »Ach, Fritze Andermann!«
    Der Aberwitz seiner Lage ließ ihm keine Wahl; er fragte sich zum Büro des Bürgermeisters durch, und immer wenn er umkehren wollte, fiel ihm ein, daß der baschkirische Fahrer gleich nach ihm aus dem Wagen geklettert war, auf der Rathaustreppe Platz genommen und so ausgesehen hatte, als warte er auf wen, eine dampfende Selbstgedrehte gefährlich im Mundwinkel und im Arm eine Konstruktion des Genossen Schpagin; Modell PPS-41, Kaliber 7,62, umschaltbar auf Einzel- oder Dauerfeuer, letzteres bis zu einundsiebzig Schuß.
    Die Sekretärin des Bürgermeisters war ohnehin schon so, wie sie sein mußte, aber als sie Davids Begehr und Auftrag erfahren hatte, schien auch sie ein Geschöpf des Genossen Schpagin zu sein.
    Doch David hielt ihren Garben stand – was blieb ihm anders? –, und einmal ging sie auch zu Fritz Andermann und kam auch einmal wieder von Fritz Andermann und deutete auf Stuhl und Tisch in der Ecke ihres Vorzimmers und legte einen Zettel auf den Tisch, darauf stand: »›Wo unsere Truppen erscheinen, ist die Ordnung hergestellt‹ – H. v. M. nach der blutigen Niederschlagung der Revolution am 17. XI. 1848.«
    David sah die Sekretärin fragend an, und die gab eine Runde Dauerfeuer: »Sie sollen das beantworten der Bürgermeister hat keine Zeit sich mit Ihnen zu unterhalten er hat zu tun wie Sie sehen und wenn Ihnen was Positives zu dem verdammten Moltke einfällt sollen Sie es gefälligst auf einen Zettel schreiben Sie kriegen dann Antwort was ich überflüssig finde und ich frage mich ob Sie nichts Besseres zu tun haben der Bürgermeister hat jedenfalls zu tun und nun schreiben Sie schon endlich los!« – einundsiebzig Schuß.
    So schrieb David, aus einundsiebzig Wunden blutend: »Aber M. war gegen die feudale Zersplitterung und für die nationale Einheit.« Die Sekretärin nahm diese Post mit, als sie den nächsten Besucher anmelden ging, einen wütenden alten Mann, der wie ein wütender alter Lehrer aussah, und den Gegenbescheid brachte sie, als sie einen finsteren Menschen mit Schlachterschürze zur Tür geleitete. »Ja, und das Rezept sah so aus: ›Es kommt darauf an, Deutschland durch
Gewalt
gegen Frankreich zu einigen‹ – M. im August 1866; und nach dem Krieg gegen Frankreich schrieb er, es sei Preußens geschichtlicher Auftrag, ›das ganze Deutschland zusammenzufassen und zu schützen, eine Aufgabe, zu deren Lösung der wichtigste Schritt eben jetzt gethan ist‹ – M., Militärische Korrespondenz. – Außerdem meine Meinung: Nationale Frage wichtig, Klassenfrage wichtiger! – F. A.«
    Der Hund schreibt da was ab, dachte David, »gethan« mit h, und er gewahrte auch, daß er sich mit M.s Stellung in der Klassenfrage nicht auskannte; davon hatte nichts in jenen Büchern gestanden, die er gelesen, und überhaupt: Mit Klassenfragen hatte er sich erst in letzter Zeit befaßt, und M. war dabei nicht vorgekommen. Er versuchte, sich ein Bild von den gesellschaftlichen Verhältnissen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu bauen und seinen M. dareinzupassen, seine Divergenzen zur feudalen Kamarilla, den Streit mit Waldersee und den Platz im Norddeutschen Reichstag, und als die Sekretärin eine junge Frau mit Schwesternhaube zum Bürgermeister brachte, nahm sie Davids Behauptung mit: »Als Adliger hat sich M. mit der Bourgeoisie verbündet – das war damals fortschrittlich.«
    Die Schwester legte im Hinausgehen des Bürgermeisters Erwiderung auf Davids Tisch. »Damals schon nicht mehr genug. – M. war ein Proletarierschlächter. Er hat zehntausend Kriegsgefangene auf die Pariser Commune losgelassen, und zur Zeit des Sozialistengesetzes empfahl er, gegen ›Tumultuanten in freier Straße Anreiten der Kavallerie und flache Hiebe, gegen Barricaden Schrapnells‹ einzusetzen.«
    Mit M. und dem allgemeinen Fortschritt war es also nichts, das sah David; da wollte er es wenigstens mit M. und dem technischen Fortschritt versuchen; diese letzte Anstrengung glaubte er Wassilij Wassiljewitsch Spiridonow schuldig zu sein, und so erreichten den Bürgermeister zusammen mit hilfesuchenden Rentnerinnen, protestierenden Kleingewerbetreibenden sowie einem Schornsteinfeger und einer Kinderdelegation, die eine

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