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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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war; er hatte neben Fran gestanden und hatte ihr, so gut es gegangen war in der Menge, für einen Augenblick den Raum verschafft, den sie gebraucht für dieses Stück ihrer Arbeit.
    Mehr noch: Er hatte Franziska zugerufen: »Nimm den da auf!«, denn für ihn allein war der da mehr gewesen als ein hart bedrängter Mann, der am Ende schien und sich nicht geschlagen geben wollte. Der da hatte gerufen, hatte geantwortet auf die böse Frage, die anderes wollte als einen Namen, die einen Grund wollte, sich wandeln zu können aus einer Frage in eineAufforderung, die einen Anlaß wollte, sich aus der Erkundigung: Wer bist denn du? in mörderisches Brüllen zu verkehren – der Mann am Pfeiler hatte Antwort gegeben und mit ihr gezeigt: Er hatte verstanden; hier ging es nicht nur um einen Namen, um den Namen ging es zuletzt, aber er nannte seinen und rief: »Ich heiße Fritz Andermann, und ich bin einer von denen, die ihr hängen wollt – ihr seid nicht die ersten.«
    Das gab ihm einen Splitter Zeit, verschaffte ihm Rederaum für die Worte: »Nicht mit euch, mit den anderen will ich sprechen – hört zu, Kollegen …« Dann war die Chance vertan, war gar keine gewesen, denn hier hatte nicht die Oberhand, wer hören und reden wollte, hier hatte das Brüllen sein Sagen, hier schrie der Irrsinn, und der Irrtum schrie mit, und der Haß sah hier seine Gelegenheit und schrie, schrie: »Hängt sie auf, schlagt ihn tot, stopft ihm das Maul, dem Hund!«
    Da stand Fritz Andermann gegen den Pfeiler gedrückt im Juniregen und wartete, und was dachte er da?
    Was dachte er da? hatte sich David später oft gefragt; später, nicht an diesem finsteren Junitag, nicht hier in der Menge neben Franziska, die ihre Arbeit tat, nicht in der Menge, jetzt schon zwei Meter fort von Franziska, zwei Meter näher zu dem Mann am Pfeiler, zwei Meter durch ein Verhau aus Zimmermannsrippen, Poliersellenbogen, Handlangermuskeln, Schultern vom Bau und Bäuchen, die nicht auf dem Bau gewachsen waren, zwei Meter heran an Fritz Andermann.
    Das war fast alles, was er später noch wußte: das wilde Würgen zum Pfeiler hin, den Ruf eben noch: »Nimm den da auf!«, und den Gedanken davor: Das ist er, das ist Fritze Andermann! »Laßt ihn los, ihr Hunde. Ich komm schon, Fritze!«
    Mehr fand sich kaum im Gedächtnis, nur der Regen noch und die Furcht, jetzt erdrückt zu werden, schon zwei Meter fort von Franziska und noch zwei Meter fort von Fritz Andermann, nur die Erinnerung an eine Bewegung, die den Mann vom Pfeiler schwemmte oder zog oder stieß, aus denAugen jedenfalls und vielleicht auch aus dem Tod, die sichere Erinnerung aber, daß diese Bewegung, die eine schützende schien, auch in Zimmermannskord und Maurerdrillich gekleidet gewesen – das war alles, was sich im Gedächtnis fand. Keine Antwort auf die Frage: Was wolltest du, was hast du dir gedacht, welcher Vorsatz hat dich die ungeheure Strecke von zwei Metern durch diese Menge getrieben, hast du Angst gehabt, wolltest du mutig sein, bist du verrückt gewesen, was, glaubst du, hättest du getan, wärest du bis zu dem Pfeiler gekommen?
    Keine Antwort.
    Später bot sich die Versuchung an, sich bedeutend zu denken in diesen Minuten, als einen Mutskerl gegen versuchten Mord, als einen Bewußtseinshelden im Augenblick der bösesten Unvernunft, als Entsatzmann für den bedrängten Genossen – aber hier widerstand David, so gern er sich auch mit heroischem Zierat hätte versehen lassen. Er wußte zu genau, daß er vom Vorsatz frei gewesen war, daß ihn etwas getrieben hatte, und allenfalls ließ er gelten, daß er sich in die richtige Richtung hatte treiben lassen.
    Damit beschied er sich, tat es nicht ohne Mühe, aber beschied sich und war auch so ganz zufrieden, weil er wußte, wie viele andere sich auch nur hatten treiben lassen, aber nicht in die richtige Richtung.
    Genug davon, genug von David, aber nicht genug von Fritze Andermann. Über den durfte man nachdenken, mußte man nachdenken; dessen Bild durfte man, mußte man betrachten, durfte dies Gesicht ansehen und mußte fragen: Was dachtest du in diesem Augenblick?
    Im Laufe der Jahre kam David freilich dahinter, daß es ihm doch vornehmlich um sich selbst gegangen war, um Antworten für David Groth und weniger um Antworten von Fritz Andermann.
    Er war schließlich sogar überzeugt, daß die Auskunft, die er hier bekam, zu jenen zählte, an die er sich ein Leben lang halten würde.
    Er glaubte nicht, zuverlässige Übersicht über sich selbst zu haben,

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