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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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um so weniger sie verstanden hatten, was ihnen geschehen war und was sie hatten geschehen lassen – nach Hause an einem Fahnenrest auf dem Pariser Platz vorüber, an einem Auto vorbei, das kopflings vor der Oper lag, vorbei an gepanzerten Wagen, vorbei an einem Laternenmann, der tief betrunken »O Deutschland hoch in Ehren« sang – im Regen nach Hause, Dieselbrummen im Ohr und immer noch Hysterie, heraus aus dem Hauptstrom auf der Liebknechtstraße, ja, Liebknechtstraße, hinein in die Littenstraße (»Litten, Hans, bürg. Rechtsanwalt, ermordet 4. II. 38 in Dachau«) und hinüber zum Hackeschen Markt und von dort dann nach Hause. Nach Hause? Wo ist das in diesem Falle? Was ist jetzt gemeint? Nach Davids Hause? Nach Franziskas Hause? Zum möblierten Zimmer bei Frau Wunder also oder zum möblierten Zimmer bei Tatjana Gideon, Gesangspädagogin?
    Kommt beides nicht in Frage, und überhaupt kommt nach Hause nicht in Frage. In Frage kommt jetzt nur: an die Arbeitoder wenigstens an die Arbeitsstelle. Fran ist freiberuflich, die hat viele und jetzt keine; aber David hat eine, seit acht Jahren schon, und die heißt Neue Berliner Rundschau – auf zur NBR, und Fran kommt mit. Als sie über die hölzerne Brücke hinter dem Dom gekommen waren, hätten sie eigentlich nach links gemußt, schräg über den Lustgarten in Richtung NBR, aber sie gingen geradeaus, an der Nationalgalerie vorbei, und redeten einander zu, so werde es sich leichter gehen, seitab von den bewachten Straßen, und diese Rede galt auch noch für das kurze Stück von der zweiten Brücke bis zur Zetkinstraße; dort hinunter am bronzenen Hegel vorbei, das hätte nun nahegelegen, aber sie gingen den Kupfergraben weiter an der Spreereling entlang, und wohin die sie führen würde, das wußten sie beide, sagten es aber beide nicht.
    Dann war da der Baum, komisches Erinnerungsmal an die Werferin Franziska, gräßliches Erinnerungsmal an den Währungsverbringer David, Schlußpunkt hinter der David-und-Fran-Geschichte erstem Teil, und was nun? Und was bist du nun, Baum?
    David äugte in die junigrüne, juninasse Krone und gab eine große Schau von einem, der ernsthaft durch Blätter, Zweige und Äste späht, und sagte schließlich gepreßt, als wäre ihm vom vielen Sehen der Atem vergangen: »Er ist nicht mehr da.«
    Da fragte Fran behutsam, wie eine Hexe behutsam: »Wer ist nicht mehr da?«
    Was konnte David anderes, als Antwort zu geben, unschuldig Auskunft: »Der Ring ist nicht mehr da.«
    Noch ein Stück hielt es Franziska durch. »Der Ring? – Ach ja, der Ring. Ja, der ist nicht mehr da.«
    »Versteh ich das recht«, sagte David, »versteh ich: Du warst schon mal hier?«
    »Ja, war ich«, sagte Fran, »du wohl nicht?«
    »Doch«, sagte David, »ich war auch, aber bestimmt nicht öfter als siebenhundertmal!«
    Dann sah er sie an, und sie sah ihn an, und für drei Sekunden vielleicht blieben ihre Gesichter noch blank, aber dann rührte es sich im Spreebaum über ihnen, das Gelächter rührte sich, das noch immer dort oben hockte, rührte sich und hielt sich nun schadlos für ein Jahr stummer Geduld, rührte sich und röhrte über das Wasser der Spree so sehr, daß niemand, der in der Nähe war, anders als einzustimmen vermochte.
    In der Nähe waren nur David und Fran; da dauerte es lange, bis sie einander aus den Armen kamen, und aus den Augen kamen sie einander nun nicht mehr und redeten doch, als wär’s ihre letzte Gelegenheit.
    Zuerst redeten sie sich einmal zurück in die Welt, versuchten sich zu erklären, wie dies möglich war: so ein würgender Tag und so ein freies Gelächter; ob es statthaft sei: dies und das andere zugleich; fragten einander nach den langen Wegen allein und fragten sich hinein in diesen Tag; kamen immer wieder nicht zurecht mit dem Synchronlauf von Unglück und Glück; erinnerten einer den andern an das, was außer ihnen war, und versprachen eines dem andern, was alles nun kommen würde.
    Dann nahm sie die Neue Berliner Rundschau auf.
    Der Genosse Schäfers war am Tor, und allein der Ausnahmezustand war es, so sagte er, der ihn bewog, Franziska ohne Formalien einzulassen, ausnahmsweise.
    Der Botenmeister Ratt war auch am Tor; er hatte sich seinen goldenen Sessel unter den Hausbogen gerückt, und man sah: Hier saß ein Wächter vor den Mauern von Troja.
    Kutschen-Meyer kam über den Hof und rief schon von ferne: »Gabelbach hamse die Fresse poliert!«
    Dann begrüßte er Fran sehr betulich und erzählte mit wunderlichem Behagen: »Wir

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