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mehr in solche Lage kommen.
Aber da waren sie wieder, da war die Lage wieder, da war Fritz Andermann hier und sie wieder dort, acht Jahre, nachdem er wieder zu ihnen gestoßen war, nach acht Jahren, von denen er gemeint hatte, weil sie so anders waren als alle davor, müßten in ihnen auch die Menschen ganz anders geworden sein, als sie es vorher gewesen waren.
Für einige traf das zu; das erfuhr Fritz Andermann noch zu seinem doppelten Glück: Die rissen ihn aus der Klammer zwischen Pfeiler und gelenkter Wut; so behielt er sein Leben, und so behielt er die Hoffnung.
Aber die Hoffnung sollte es lange schwer haben gegen die Erfahrung dieses Junitages. Die Enttäuschung machte auf Jahre die Augen schmal, machte die Sinne überscharf, machte die Fäuste hart, schmälerte das Vertrauen; die Erinnerung hämmerte: Achtung, Fritz Andermann, aufpassen, Obacht geben, wachsam bleiben, nicht leichtgläubig werden, Übermut tut selten gut, Voreile wird bestraft, nur keine Vertrauensseligkeit, nur kein fauler Liberalismus, nur keine Romantik, der Kampf ist nicht zu Ende, wir sind noch nicht soweit, dieses können wir uns noch nicht erlauben, jenes dürfen wir noch nicht gestatten, der Schein kann trügen, noch einmal hinsehen, noch einmal überprüfen, noch etwas abwarten, den Vorwurf der Enge nicht fürchten, wenn das heißt: dem Feind keinen Fußbreit Boden und jenem Junitag nie wieder eine Chance.
Auch kamen andere Tage hinzu; ein Tag zum Beispiel, an dem ein ungarischer Fritz Andermann von seinem Pfeilernicht mehr fortkam; und die Zeit kam, in der die Berichte vom bittersten Irrtum, von äußerster Täuschung, von fürchterlichstem Tod in die Welt gingen der Sache wegen, die nur in der Wahrheit leben kann, und doch und gerade darum auf die Sache zurückgeschleudert wurden als hämisches Echo: Also war alles Lüge, alles, alles, alles!
Doch von so kommenden Dingen ahnten weder Fritz Andermann noch David Groth etwas in jenen Stunden der Junimitte von dreiundfünfzig; an diesem Tag hielten sie diesen Tag für das grimmigste aller Schrecknisse – auf Franziskas Bild, das Fritz Andermann am Pfeiler zeigte, war es zu sehen, und in Davids Gedächtnis war es aufbewahrt, aber auch eine andere Erinnerung an den nämlichen Tag, und die eine verhielt sich zu der anderen so wie das Feuer zum Schnee, und waren für David, wenn ein und dasselbe Kalenderblatt ihn an beide erinnerte, in ihrer Gemeinsamkeit immer noch nicht ganz zu fassen.
Denn der Tag war ausgegangen in doppeltem Ausnahmezustand. Von dem einen stand auf nassen Plakaten geschrieben; in dem anderen sprachen zwei: Ich liebe dich. Der eine hackte Kettenspuren in die Straßen der Stadt; der andere war zweien ein dauernder Grund, einander nun nicht mehr aus den Augen zu lassen.
Franziska und David hatten sich wiedergefunden, als Andermann vom Pfeiler verschwunden war; David war zurückgeschwommen durch das zwei Meter breite Meer, die Angst hatte ihn getrieben, er könnte ein leeres Ufer finden und nur noch die Spuren von verlorenem Kampf, eine zerbrochene Kamera vielleicht.
Aber die Kamera war noch ganz, und auch das Mädchen war noch heil, und wie es sich zu helfen wußte, das durfte David gleich noch einmal erfahren.
Er kam gerade zurecht, als wieder einer Franziskas Arm hielt, wieder einer, der wohl wußte, warum er hier keine Bilder wollte, doch ehe sich David mit diesem Menschen befassen konnte, hatte Fran das Problem weit gründlicher gelöst.
Sie sagte halblaut zu dem Bilderscheuen: »Wenn du nicht gleich verschwunden bist, schrei ich, du hast die Enge hier ausgenutzt und wohin gegriffen, wohin du dich sonst bei anderen nicht traust.« Das half weit besser, als ein verrückter David hätte helfen können; das gab dem Menschen Flügel.
Und dann geriet auch alles andere in Bewegung; die Gewalt bekam ihre Antwort, und die hieß auch Gewalt, Befehle nahmen sich der Schreie an, hier hatte es schon zu lange »Hängt ihn auf!« gebrüllt, hier hieß es jetzt: »Schert euch nach Hause!«
Nach Hause ging es die Wilhelmstraße hinunter, am Tiergarten entlang und vorbei an der zerborstenen Reichskanzlei, von der man einen Durchblick hatte hinüber zum Schloß Bellevue, dorthin, wo man an diesem Tag seit Stunden und bis eben noch ein letztes Mal hatte haben können, was der Name des Hauses versprach: eine schöne Aussicht nach Osten hin – nach Hause ging es die Linden ostwärts bis zur Littenstraße, nach Hause inmitten verstörter Menschen, die um so lauter schimpften,
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