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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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aber er wußte von Momenten, von denen her er um einiges mehr mit der Welt vertraut geworden war. Es waren Umschlagspunkte vom bloßen Tun hinüber zum Begriff gewesen, Übergänge aus der Erfahrung ins Bewußtsein, Schaltungen vom Erlebnis zu einer Regel.
    So dankte er dem Nachdenken über jenen Fritz Andermann, den etwas Furchtbares gegen einen Pfeiler gepreßt hielt, etwas, das aussah wie seinesgleichen und seinesgleichen auch war – so dankte David dem Versuch, sich in Fritz Andermann hineinzudenken, ein Quant Gerechtigkeit, dessen er wohl bedurfte in seiner Zeit, bei seinem Leben, zu seiner Arbeit.
    Da gab es genug Gelegenheit, von Härte zu sprechen, Starrsinn, Mißtrauen, Strenge des Urteils, Enge der Sicht, und es half, die Klage zu dämpfen, sah man die Dinge mit den Augen jenes Fritz Andermann am Pfeiler dort.
    Mach dir das klar, David Groth, zwing es dir in den Kopf: So einen wie den hat die Überzeugung in der Spur gehalten: Der Beginn der Freiheit für seinesgleichen wird auch das Ende der Dummheit von seinesgleichen sein, jener entsetzlichen Dummheit, die demütig machte und fromm und dienstwillig und gläubig und auch mordbereit. Der hat alles ertragen, weil er zu wissen meinte: Wenn die, für die ich es ertrage, erst einmal begriffen haben, wird niemand mehr so etwas ertragen müssen.
    Er hat sich nie als das Opfer eines schlimmen Wunders gefühlt; was ihm geschah, war erklärbar, und deshalb war es möglich, es von einmal an nie mehr geschehen zu lassen.
    Er hat nur jenen Fehler begangen, in den die Klugen und Mutigen und Gerechten allzuoft verfallen: Er hat zu sehr auf Klugheit und Mut und Gerechtigkeit gesetzt und gemeint, hätten die nur ihre Chance, so wäre das gleich auch ihre Stunde und ihre Herrschaft für immerdar.
    Das hat er wirklich gemeint, trotz aller Erfahrung, trotz der Jahre unter Tage, in denen er hatte erleben können, daß es auf ein und dieselbe Art Hundeleben mehrere Antwortengab, nicht nur die rote, auch eine rosa Antwort, auch eine braune, schwarze, weiße und gelbe.
    Er hat es gemeint, obwohl er sah, wer in den Reihen der anderen marschierte, von der Ruhr bis zum Wedding, durch das Brandenburger Tor in der Januarnacht und auf das Marsfeld von Nürnberg, unter Waffen hinaus in alle Himmelsrichtungen und unter Waffen auch am Zaun entlang von Oranienburg.
    Fritz Andermann hat das alles gesehen, voll Trauer und Zorn, aber er hat weiter gesehen: auf den Tag der Änderung.
    Der kommt und die kommt, hat er gesagt, und als sie dann kamen, die Tage der Freiheit und die Taten zur großen Änderung, da hat er die Geschwindigkeit überschätzt, mit der neue Möglichkeit zu neuer Wirklichkeit wird, und dem guten Willen hat er zuviel zugetraut, zuviel an Maß und zuviel an Kraft, und ausgerechnet er, den die Niedertracht ein Leben lang gewürgt hatte, ausgerechnet er hat nicht gesehen, wie wenig noch die Niedertracht geschlagen war.
    O die Fehler der Gerechten: keine Schonung, weil sie sich selber nicht schonen; Ungeduld, da Eile not tut; die eine Richtung des Blicks auf das einzig Richtige; nur langsam weichende Blindheit, die von jäher Erleuchtung kommt; der Ton, der nur den Gleichgesinnten erreicht; manchmal auch aller Verzicht auf alle Erklärung, weil doch alles klar ist; und dieser falsche Schluß der Tugend: Da ich mich nicht bereichern will, da ich nicht lüge, da ich nicht feige war, da ich Entbehrungen trug, da ich mich nicht verführen ließ, da ich mich richtig verhielt in schwerer Zeit – wie sollten Habsucht und Feigheit und Dummheit jetzt noch zum Zuge kommen, jetzt, wo die Zeiten beginnen, leichter zu werden?
    Aber dann steht so einer an einem Tag im Juni mit dem Rücken an einen Pfeiler gedrückt und sieht: Er ist ein Träumer gewesen; er hat die hinter sich geglaubt, um sich, die jetzt vor ihm stehen, gegen ihn drängen und ihm ans Leben wollen; vielleicht weniger wollen als sollen, aber das macht im Augenblick keinen Unterschied – er hat seine Erfahrungmit solchen, die auch weniger wollten als sollten: Sie haben ihn niedergeschrien, weil sie sollten, sie haben ihn gejagt, weil sie sollten, sie haben ihn geschlagen, weil sie sollten, sie hätten ihn umgebracht, wenn es gegangen wäre, und gesagt hätten sie hernach: Wir haben das nicht gewollt, wir haben es gesollt, wir haben es gemußt, wir haben es nicht anders gewußt.
    Das hatte Fritz Andermann inzwischen oft genug gehört, aber zu oft hatte er inzwischen geglaubt, nun, da sie es besser wüßten, könnten sie nie

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