Das Impressum
Wald.
Er hatte David aus dem Bett geholt, ihm zwei Bilder geschenkt, eins von Immelmann und eins von Richthofen, hatte ihn gefragt, ob sie nicht mal wieder richtig feinen Kümmelkäse essen wollten, und hatte dann noch einen Augenblick unbehaglich mit Bruder und Schwägerin in der Wohnstube gesessen.
»Was haben sie denn da nun so veranstaltet in dem Konzertlager mit euch?« fragte er und sah dabei auf die Uhr auf dem Vertiko.
»Ach, du weißt ja«, sagte sein Bruder, »von morgens bis abends Konzert, und für unsereinen ist das nichts.«
Und dann sagte er seinen Spruch von den halben Geschichten auf, und Feldwebel Hermann Groth schlich sich aus dem Haus. Aber mit den Jahren, in denen Gras über das Grab von David Blumenthal wuchs und sich die Erinnerung an den Steinbruch wie Staub verlor, kam er wieder öfter, und immer brachte er David Bilder mit oder Merkblätter und sogar das eine oder andere Buch, und auf all dem Papier war von nichts anderem die Rede als von Artilleriebeobachtern, Hindenburg, Hindenburglichtern, eisernen Rationen, Chemin des Dames und Djibuti, Sappen und der Haltbarkeit von Erbswurstsuppen, soldatischen Gehbeschwerden, Großem Generalstab, Eskaladierwänden und Ehrenbezeigungen.
Wenn Onkel Hermann zu Besuch war, erfuhr man bei den Groths von den Bedingungen zur Erlangung einer Schützenschnur, von falsch gefalteten Fußlappen als Quellen verheerender Krankheiten, vom Zusammenhang zwischen Stahlhelm und Frühglatze, vom Ruhm des Regiments Rantzau und vom soldatischen Anstand, der sich zum Beispiel darin äußerte, daß eine Militärperson niemals ein einmal benutztes Schnupftuch wieder zusammenlegte.
Eigentlicher Adressat aller dieser Mitteilungen war aber immer nur David, dessen Aufmerksamkeit auch dann nochgleich groß blieb, als er sich selbst längst in die Verästelungen von Kriegs- und Heereswesen hineingearbeitet hatte und sich bei seinem Onkel für dessen umständliche Darstellung der Schwierigkeiten beim Hantieren mit der Zielkelle durch ein Referat über den Schlieffen-Plan revanchieren konnte.
Ihm barg das Gewehr 98 bald kein Geheimnis mehr, ihn interessierten eher spitze Einzelheiten, wie etwa die Herkunft der Bezeichnung Schießprügel, von der er herausgefunden hatte, daß sie von einem Vorzeit-Feuerrohr stammte, dessen Mündung mit Morgensternstacheln versehen gewesen war, was sich in Fällen von Munitionsmangel als recht praktisch erwiesen haben sollte.
Während Hermann Groths Soldatenhirn das Herkömmliche und Regelhafte magazinierte, suchte, fand und sammelte David militärische Extravaganz, war er auf Exquisites aus, auf den Sonderfall in Uniform, und da er in einem Lande aufwuchs, in dem ein beträchtlicher Teil des Lebens der Frage gewidmet war, wie sich am besten töten lasse, deckte dieses Spezialwissen allmählich ein wenig den Makel ab, den Namens-Makel, den Blumenthal-Makel, den Davids-Makel. Allmählich, ein wenig und nicht auf Dauer, denn erstens waren Menschen wie jener, der Kasten hieß, nicht rar im Lande, zweitens war ebender, der Ur- und Haupt-Kasten sozusagen, auf seine wenigen Einfälle so sehr angewiesen, daß er trotz des spürbaren Echoschwunds immer einmal wieder auf sie zurückkam, und zum dritten sorgten die Zeitläufte dafür, daß der Name David mehr als nur ein beliebiger Name blieb.
Und dafür, daß David und seine Klassenkameraden von diesem speziellen Lauf der Zeiten erfuhren, sorgte wieder jener Kasten.
»Du, Groth, Geliebter, steh auf und komm mal vor«, sagte er an einem klaren Novembermorgen, und er sagte es diesmal für ein größeres Publikum, denn das Kollegium der Schule saß zur Hospitation mit im Klassenraum, und es galt, ein Beispiel zum Thema Volk im Schrifttum zu geben, undder deutsche Mensch und Lehrer Kasten hatte dazu ein Gedicht von einem Hermann Burte ausgewählt, und David hatte es nun vorzutragen:
»›An Deutschland‹ von Hermann Burte, ›An Deutschland:
Du lagerst laß in Mitten fremder Frauen,
An einen Hünenstein gelehnt die Stirn,
Die Hände kühlen sich im Alpenfirn,
Die Füße im Germanenmeer, im grauen …‹«
»Gut, Schluß, bis dahin erst einmal. Und was bedeutet das nun?«
»Das bedeutet unser Vaterland, erdkundlich und geschichtlich gesehen«, antwortete David geläufig, denn das hatte ihnen der Lehrer Kasten nun schon mehr als einmal erklärt, und er verkniff sich wieder die Erkundigung nach dem Worte laß, denn in dieser Schule nahm man Auskünfte entgegen, forderte sie aber nicht an.
»In
Weitere Kostenlose Bücher