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dieser Strophe erst erdkundlich gesehen«, sagte der Lehrer Kasten, »geschichtlich kommt erst in der nächsten Strophe. Die lautet?«
»Kein wälscher Wein kann dein Gefühl verwirrn,
Kein Wind von Osten aus versteppten Auen,
Der Wala Wissen blitzt um deine Brauen,
Dein Herz ist mächtiger als aller Hirn.«
»Gut, wieder Schluß hier. Wer oder was ist Wala?«
»Wala ist die allkundige Stabträgerin aus der Edda«, repetierte David und hörte den Geschichtslehrer Pamprin murren und sah ihn sacht den Kopf schütteln. Das gab ihm um so mehr zu denken, als Herr Pamprin nur äußerst selten zu murren pflegte, wenn David Groth, der Kenner militärhistorischer Unika, den Mund aufgetan hatte.
Aber Kasten sagte sehr laut: »Jawohl, Wala, allkundige Stabträgerin, der Wala Wissen blitzt um Deutschlands Brauen. Doch hier kommen wir vorzeitig ins Geschichtliche, zurück zum Erdkundlichen, Groth, und gleich wirst du sehen, warumich gerade dich erkoren habe, hier vor versammelter Lehrerschaft das Schrifttumsstück ›An Deutschland‹ vorzutragen. Sage uns noch einmal die erste Strophe auf!«
David sagte sie noch einmal auf.
»Gut, gut«, sagte Kasten und freute sich, »Deutschland, unser Vaterland, lagert also nun laß zwischen allem möglichen, und was umgibt es?«
»Alles mögliche«, sagte David, »das Germanenmeer zum Beispiel.«
»Ja, ja, darin kühlt es sich seine Füße, das ist bekannt, so steht es im Gedicht, aber das Germanenmeer ist eben das Germanenmeer, also auch deutsches Land, deutsche See. Aber was ist da, wo nicht Germanenmeer ist?«
»Da sind Alpenfirn und versteppte Auen.«
»Weiter, weiter, und was ist das, das da hinter Alpenfirn und in den versteppten östlichen Auen, was ist das, zusammengezogen?«
»Zusammengezogen ist das Ausland«, sagte David.
»Wir kommen der Sache schon näher«, sagte Kasten und sah dabei zum hospitierenden Rektor hinüber, »der Sache, die wir heute im Zusammenhang mit diesem Beispiel aus dem Schrifttum behandeln wollen. – Wenn einer ins Ausland will, was muß er dann haben?« David Groth, elf Jahre alt, hatte noch nie ins Ausland gewollt. Er sagte es, und er sagte weiter, demzufolge wüßte er auch nicht, was man benötige, wenn man es wollte.
»Na«, sagte der Lehrer Kasten, »wir kommen schon noch drauf. Nun erst einmal die anderen: Wer weiß es?«
Der Klasse war das Problem neu, und sie verlegte sich aufs Raten. Jürgen Clasen vermutete, ein Koffer sei in einem solchen Falle das nötigste; Heinz-Georg, der Sohn von Schlachtermeister Kallmeyer, hielt Geld für die wichtigste Voraussetzung, und Fritze Scheel, der weniger in dieser als in der deutschen Märchen- und Sagenwelt zu Hause war, hatte einen Glanz in seinen sonst immer etwas blöden Augen, als er fest verkündete, wer eine solche Reise wagen wollte, bedürfe vorallem, der Hadersucht fremder Recken wegen, eines soliden beidseitig geschliffenen Schwertes.
Der Lehrer Kasten ließ das alles mehr oder minder gelten, gab aber dann bekannt, an erster Stelle in der Bedarfsliste habe ein Reisepapier zu stehen, ein sogenannter Auslandspaß.
»Denn sonst«, sagte er, »könnte ja jeder gehen, wann und wohin er will, und keiner weiß, warum. Das Warum ist von allererster Bedeutung, wenn einer ins Ausland will. Wenn zum Beispiel einer nach Südamerika will, um dem Deutschtum im Ausland den Rücken zu stärken, eine Aufgabe, an der auch ihr euch beteiligt, wenn ihr allmonatlich die schönen blauen Kerzen kauft, dann ist das ein erstrangiger Grund, und dann kann man reisen. Aber nun gibt es auch Zeitgenossen, die unserem Vaterland nicht den Rücken stärken, sondern ihm denselben kehren möchten, Emigranten nennt man die, und das sind vorzüglich Juden. Aber seit gestern ist dem Juden da ein Riegel vorgeschoben, denn seit gestern müssen die Juden ihren Paß hergeben, und damit sich keiner von ihnen hinter einem harmlosen Namen verbergen kann, manche Juden haben sich nämlich im vorigen Jahrhundert harmlose Namen gekauft, man sollte es nicht für möglich halten, aber das ging damals, ein Jude konnte hingehen und sagen, er möchte jetzt nicht mehr Itzig Mosse heißen, er möchte jetzt Meyer heißen, dann zahlte er und lief fortan in der deutschen Maske Meyer herum, allerdings waren manche Juden zu geizig, um sich einen Namen wie Meyer zu kaufen, der sehr teuer war, und dann kauften sie sich billigere, aber dafür auch auffälligere. Die ausgefallensten Namen waren die billigsten, zum Beispiel Treppengeländer, der
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