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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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das wohl sehr ulkig?«
    »Ich finde nichts mehr ulkig«, sagte Hilde Groth.
    »Dazu haben Sie auch keinen Anlaß, liebe Frau! Schreiben Sie, Kramp: Mehrere Anzeichen deuteten schon vor der Tat darauf hin, daß der Groth aus der Balance war, in Klammern: Hat Taube mit eben verliehenem goldenem Verwundetenabzeichen versehen. Den Rest machen wir im Amt.«
    »Da wäre noch die Frage, Herr Rat, wieso der Mann sein Gewehr hatte.«
    »Klären wir auch später. Das Wichtigste hätten wir nun: Eindeutig geistige Umnachtung. Und daß Sie es wissen, Frau Groth, auch für Sie gilt das, und wehe, Sie erzählen den Leuten etwas anderes. Wenn Sie gefragt werden: Er ist vor Schmerzen durchgedreht, die alte Wunde, französische Banditen, klar, und nichts anderes!«
    »Und der Pole? Was soll sie über den Polacken sagen?«
    »Das ist auch klar: Unsinniger Zufall. Blut zieht Blut an, besonders, wenn einer seiner Sinne nicht mehr mächtig ist. – Daß wir uns recht verstehen, Frau Groth: Sie haben Glück, so. Sie sind auf diese Weise eine Kriegerwitwe. Man wird Ihnen sogar die Rente lassen – das heißt immer, wenn Sie nicht das dumme Gerede Ihres Mannes fortsetzen. Tun Sie es doch, dann kommen wir wieder, aber dann Ihretwegen. Ist das alles klar?«
    »Ja, Herr Rat, es ist alles klar.«
    »Gut, und wenn Sie können, fangen Sie die Taube ein, das geht nicht, daß die da so rumfliegt.«
    »Ich sag es heute abend meinem Jungen. Ich sag ihm alles.«
    Aber wie, wie hätte sie ihrem Jungen nun auch dies noch klarmachen sollen? Was zu erklären gewesen war, hatte der Mann übernommen; das war so eine Abrede zwischen ihnen gewesen, eine jener stillen Konventionen, die Eheleute miteinander schließen, wenn sie ahnen, was gut für jeden und für die Ehe ist. Wilhelm konnte das eben besser. Er sagte nicht, was sie gesagt hätte: »Du mußt die Frau Pastor grüßen. Es gehört sich so, und anders gibt es Ärger. Die Leute reden so schon, und nun benimm dich gefälligst!«
    Wilhelm sagte es anders: »Der Himmel stürzt nicht ein, wenn du die Pastersche nicht grüßt, und wir kriegen keinen Extraplatz da oben, wenn du es tust. Allerdings, ein Held wirst du dadurch auch nicht, daß du nicht guten Tag sagst. Das einzige, was passiert, ist, daß sie uns scheel anguckt und scheel über uns spricht. Von der Sorte haben wir aber schon genug, und es wäre eine weniger, wenn du den Mund aufmachtest. Mußt aber nicht. Wo so viele auf uns rumhacken, werden wir am Ende damit auch noch fertig. Kannst dir das ja noch mal überlegen.«
    Wilhelm sagte: »Das Radio hört sich wie Krieg an. Wenn, dann bin ich morgen Soldat. Zum Glück bist du ja inzwischen ein Ende länger als damals, als ich die paar Jahre weg war. Wenn du was von dem übernehmen kannst, was sonst ich gemacht hab, freut sich deine Mutter. Ich aber auch. Das ist schon ganz wichtig, denn im Krieg wird alles mögliche knapp: die Männer, die freie Zeit, die Butter und auch die Freude. Da hilft dann jedes bißchen. Ach, und hör mal, und steck das für dich weg: Ich bin nicht so scharf darauf, Soldat zu werden. Das ist so eine Art Menschenfresserei. Dein Onkel mag das, aber der war schon immer ein bißchen, ein bißchen jünger als ich. Vielleicht wird der mein Kompaniespieß; das wäre gut, dann könnte er mich endlich anbrüllen, und ich würde antworten: Jawoll, Hermann, jawoll, Herr Hauptfeldwebel, unddenken würde ich: Na warte, wenn der Krieg vorbei ist, und dann komm du mir mal nach Hause!«
    Wilhelm konnte mit David umgehen, aber jetzt war Wilhelm nicht mehr, und was mit ihm geschehen war, hätte vielleicht nicht einmal er dem Jungen erklären können.
    Aber David war kein Junge mehr. Und er brauchte eine Erklärung in Worten nicht mehr. Dieser Tod war eine Summe, und wenn er die einzelnen Posten nicht immer erkannt hatte, als sie anfielen, jetzt, in der Summe sah er sie wieder. In der Stadt Ratzeburg hatte man keinen Vater im KZ gehabt, ohne ihn immer wieder dort gehabt zu haben. Die Gelegenheiten der Erinnerung waren klein und groß: Bist du nicht der Sohn von dem? Feindliche, doch manchmal auch freundlich, ängstlich-freundlich gemeinte Frage. Ist das nicht der Sohn von dem? Und weil man der Sohn von dem war, durfte man in der öffentlichen Weihnachtsfeier leider nicht »Vom Himmel in die tiefsten Klüfte ein milder Stern herniederlacht« aufsagen, auch wenn niemand sonst in der Schule es besser konnte; und weil man der Sohn von dem war, kam man weder aufs Gymnasium noch auf die

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