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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Mittelschule, obwohl es die Zeugnisse einschließlich der Zensuren selbst des Lehrers Kasten beinahe dringlich empfahlen; und weil man der Sohn von Wilhelm Groth war, sah man seinen Vater nie unter den Fahnen am Tag der nationalen Arbeit oder am Tag der nationalen Erhebung, und an Führers Geburtstag sah man zwar auch am Schlafstubenfenster der Groths die Fahne, aber sie war nur vergessen und eines anderen Geburtstages wegen aufgesteckt worden, am neunzehnten April, Mutterns Ehrentag, und als David elf Jahre alt war, erklärte ihm sein Vater diese Vergeßlichkeit: »Deine Mutter, das ist ein Grund zum Feiern. Mit dem Adolf stehe ich nicht so gut. Aber wenn am zwanzigsten hier keine Fahne hängt, dann sieht man das in dieser Stadt, und dann haben wir den ganzen Tag Besuch von Leuten, die wir alle nicht mögen. Und du weißt ja, was wir zu Hause denken, tun und sagen, das ist unsere Sache, und wenn dich einer fragt, dann weißt du nichts anderes, als daß bei unsalles in Ordnung ist. Glaub mir, Junge, bei uns ist alles ganz richtig.«
    Diese Abmachung galt. Sie war ohne aufwendige Gesten vollzogen worden und hatte keiner dringlichen Beschwörung bedurft; ihr fehlte das Pathos der Angst ebenso wie das des vorsätzlichen Widerstandes; da war kein Hauch von Rütli-Schwur und auch kein Katakomben-Schauder, und schon ein Handschlag zwischen Vater und Sohn hätte sich wie ein Einbruch von italienischer Oper ausgenommen. Aber es war eine Abmachung, und sie galt, und fortan war alles so in Ordnung, wie die Groths es verstanden. Das wäre ohne die Liebe, die Wilhelm Groth und Hilde Groth und David Groth füreinander empfanden, nicht möglich gewesen, aber da es diese Liebe gab, war alles möglich, fast alles, außer großen Worten. Den Gipfel entfesselter Beredsamkeit hatte sein Vater, so schien es David, bei seiner ersten Begegnung mit Hilde Jensen erreicht und war danach niemals mehr auch nur annähernd wieder in solche Höhen geraten. Damals, auf einem Feuerwehrball in Bergedorf bei Hamburg, hatte der ledige Chauffeur Wilhelm Groth zu dem ledigen Dienstmädchen Hilde Jensen gesagt, und zwar kaum daß er sie gesehen hatte, und zwar so, daß es wie Annäherungsversuch, Liebeserklärung, Heiratsantrag und Treueschwur geklungen hatte, was alles es dann auch gewesen war: »O Fräulein, sind Sie aber schön!« Hilde Groth erzählte ihrem Sohn das am Weihnachtsabend in Wilhelm Groths erstem Dachau-Winter, und sie war danach still, und sie weinte erst, als David sie lange betrachtet und dann gesagt hatte: »Das stimmt auch.«
    Da weinte sie, und dann lachte sie über diesen gerissenen Kerl von Mann, der einem wildfremden Mädchen mit »Oh!« gekommen war und mit so ungehemmter Bewunderung, daß das Mädchen ihm hatte glauben dürfen, glauben müssen, glauben wollen.
    »Konnte ich auch«, sagte sie zu ihrem Jungen, »und du kannst es auch. Was dein Vater sagt, das meint er. Manchmal sagt er es so um die Ecke rum, aber das meint er nicht falsch,da hat er nur seinen Spaß, wenn man dumm guckt und ihn erst versteht, wenn man selber um die Ecke denkt. Den Spaß können wir ihm beide lassen.« David lernte mit dem Um-die-Ecke-Denken bald auch selber, mit seinem Vater um die Ecke zu reden, und er fand heraus, daß diese Redeart nicht nur Spaß machte, sondern auch Schutz bot, Deckung gegen andere und vor sich selber.
    Worte waren, wenn sie ehrlich waren, Teile von einem selber, und je mehr Worte man von sich gab, um so mehr gab man sich selber her; und deshalb hielt sich David an seinen Vater, hielt seine Ohs für die wirklich großen Momente zurück, die gesprochenen, die artikulierten, die lautgewordenen Ohs jedenfalls, und versuchte es sonst wie Wilhelm Groth mit Sorgfalt und Sparsamkeit im Ausdruck, gab nach Möglichkeit keinen Buchstaben von sich, der nicht durch die Filter hellwacher Kritik gelaufen wäre, und baute somit zugleich tiefstes Mißtrauen in sich auf gegenüber allem Großton, mit dem man ihn zu etwas veranlassen oder von etwas zurückhalten wollte.
    Wenn er sich daran gewöhnte, seine Gefühle und Meinungen in Kürzel und Chiffren zu fassen, so entwickelten sich Gehör und Verstand im selben Zuge zu Horchposten und Dechiffrierer, und wo es geheime Signale gab, empfing er sie, und wo es falsche Töne gab, fing er sie, und er lernte, daß Pausen mehr Mitteilung enthalten konnten als ein klangvoller Satz, und deshalb war ihm die Feststellung seines Vaters, bei den Groths sei alles in Ordnung, weit eher eine Abmachung denn

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