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Silber is, wa, sieht man nich auf einer Fotojrafie, wa?‹
Ich hantierte eifrig mit meinem Apparat und den Lampen und wünschte mich heftig zurück zu meiner gemütlichen Politischen Ökonomie. Ich pfiff auf Rembrandt und Brueghel und alle künstlerischen Arrangements und knipste los, sobald das Jubelpaar auf seinen Stühlen saß. Auf den Bildern nachher war nicht viel zu erkennen, aber auf dem einen immerhin doch die Frau, die gerade an ihren Haarschmuck tippt. Dazu hatte sie gesagt: ›Der is noch von die andere Festivität. Jold kann unsereins sich nicht leisten. Wir nicht, nich in diesen Staat!‹
Was sie zu den Fotos gesagt haben, weiß ich nicht, denn ich hab sie ihnen in den Kasten an der Gartenpforte geworfen; der Muff hatte mir gereicht und die blöde Bemerkung über den Staat auch, und vor allem war ich mit dem Gefühl nach Hause gegangen, daß sie mich übers Ohr gehauen oder wenigstens doch auf meine Kosten einen uralten Streit ausgetragen hatten, einen stinkenden Zank, der an diesem Tage ebenso Goldenes Jubiläum hatte wie sie, denn im Gehen hatte ich draußen im Windfang den Alten sagen hören: ›Nu los, nu sag mal: Wer bringt hier nischt zuwege?‹ Und sie hatte geantwortet: ›Ick sach ja nischt. Ick sage höchstens: Alle fuffzich Jahre einmal is vielleicht ’n bißken wenich!‹«
Als wollte er verhindern, daß seine Geschichte belacht würde oder gar diskutiert, erhob sich der Staatssekretär mit dem letzten Wort seiner Erzählung, und man schickte sich zum zweiten Teil der Betriebsbegehung an, aber dann blieb dieser merkwürdige Mann doch noch einmal stehen und sagte: »Wer weiß, was das für Leute waren?«
Dies war nun ein Satz nach so einer Geschichte, mit dem man jemandem wie David Groth nicht hätte kommen dürfen. Er hätte gerufen: »Ja und, warum weiß er es nicht? Warum hat er es nicht herausgefunden? Warum hat er die Antwort nicht gesucht, wenn ihm um die Antwort zu tun gewesen ist? Das ist nicht zu glauben: begegnet einem Rätsel und setzt sich auf den Arsch, um Politische Ökonomie zu studieren! Das nenn ich Gelehrsamkeit: Buchstaben knacken, aber nicht Menschen! Da hätte ich mich so lange unter das Stubenfenster von diesen Goldhochzeitern gelegt, bis ich eine Vorstellung gehabt hätte, ein Bild mit allem an seinem Platz: dem Silberkranz, der Postkarte aus Pisa, dem Wermutmief und dem Staat, in dem man sich nischt Verjoldetes leisten kann. Wenn ich so was höre, das sägt mich auseinander. Da hätte ich doch die Bilder stückweise zu diesen vergammelten Philemon und Baucis gebracht und sie ausgeholt bis zur Grünen Hochzeit zurück, da hätte ich … Mensch, was für ein Jammer!«
Er hätte dies alles wirklich getan, und wirklicher Jammer hätte ihn wirklich gepackt ob einer so vertanen Gelegenheit, den Menschen, dem Menschen auf die Spur zu kommen.
»Unsere Zeitung ist nicht einfach ein Bilderblatt«, sagte er manchmal in seinen pompöseren Stunden, »sie muß ein Beitrag zur Menschengeschichte sein, und Geschichte sagt nicht bloß Was, sie sagt auch Warum, sonst taugt sie nicht. Und dieses Blatt taugt einen Dreck, wenn es nicht auch Warum sagt, und ihr taugt als Journalisten einen feuchten Qualm, wenn ihr nicht hinter dem Warum her seid wie der Finanzminister hinterm Steuerbeleg.«
Die Heftigkeit, mit der er diese Meinung von Anbeginn vertreten hatte, war zunächst von der Ahnung eingesteuertgewesen, daß man ihm Widerstand entgegensetzen würde, und wenn seine Heftigkeit, kam er in späteren Jahren auf dieses Thema, nicht geringer wurde, so einfach, weil er da schon wußte, was er vorher nur vermutet hatte: daß es eines war, die Darstellung des Warum ins Programm zu nehmen, und ein anderes, ein ganz anderes, dieses Programm zu verwirklichen. Abgesehen von den berufsinternen Dogmen, denen zufolge eine Illustrierte ihren Verpflichtungen dann genügte, wenn sie das Zeitgeschehen im Bilde vorführte und Worte nur beifügte, um Irrtümern des Beschauers vorzubeugen – klassisches und von David gern zitiertes Beispiel einer solchen klärenden Erläuterung war die unter einem Foto von zwei Persönlichkeiten, deren Äußeres schon tausend Karikaturisten zu leichter Arbeit gereizt hatte, was aber dem Textredaktor nicht Grund genug gewesen war, auf die Unterschrift zu verzichten, die da ging: »Kaiser Haile Selassie von Äthiopien (links) im Gespräch mit der Witwe des amerikanischen Präsidenten, Frau Eleanor Roosevelt (rechts)« –, abgesehen also vom Familienstreit zwischen
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