Das Impressum
Bildermachern und Wortemachern, gab es manchmal auch einen jüngeren, schärferen, tieferen und auch höheren Widerstand gegen die Vorführung des Warum, aber die Auseinandersetzung mit ihm führte weit fort von den Fragen der Technik und der Druckraumökonomie, sie führte in den Bereich der Grundsätze, und bei den Prinzipien verstummten die Witze, und von diesen Prinzipien her verbot sich oft nicht nur das illustrierte Warum; auch das illustrierte Was, der bloße Tatbestand, die Aufnahme, das Bild von ihm, blieb unveröffentlicht, weil anders Verwirrung statt Klärung die Folge gewesen wäre.
Das Beispiel hierfür, weniger rasch erzählt als die Anekdote von Kaiser Haile Selassie links und Mrs. Roosevelt rechts und auch weniger belacht und auch weniger unumstritten, war die Affäre REBEA. Denn es war die Geschichte eines Umsturzversuches und eine Komödie. Es war die Geschichte eines Wirtschaftsputsches und eine Komödie. Sie endete wie ein Drama, sie verlief wie eine satirische Erzählung von Ilf undPetrow, und sie begann beinah wie ein gemütliches Märchen, sie begann mit Großvater Kist:
Es lebte einmal in der schönen Stadt Berlin der Großvater Richard Kist, ein Eisenbahner. Sein Lebtag war er ein fleißiger Mann gewesen, und als er in den Ruhestand trat, ging sein Trachten nur auf den Ruhestand, von dem er wohl wußte: Er hatte ihn verdient. Er hatte fünfundsechzig Sommer gesehen, und vierzig Winter lang hatte er Kartoffeln und Kohlen und Zement und Kisten mit Hühnern und Büchern und Maschinenteilen und Eingemachtem und Waggons voller Ferienausflügler, Berufsschüler, Trauergäste, Soldaten und singender Jungfrauen über verschneite Schienen gefahren, er hatte Stellwerke gestellt und Gleisbetten mit Steinen gestopft, er hatte Fahrkarten verkauft und gelocht und in überfüllten Zügen kontrolliert, er hatte beim Rangieren zwei Finger der linken Hand eingebüßt und im Übernachtungsraum von Posen seine Brieftasche verloren und im Partisanenwald bei Compiègne sechzehn Wagen mit Stückgut aus Brest, und nun war er in Pension, Ruuuhestand.
Da aber sprach eines Tages die Tochter, die zweite, die mit dem nervösen Buchhalter zum Mann: »Wenn du mal Kaffeesahne siehst, bring uns welche mit, du kommst doch rum.«
Fürwahr, das war wohl recht gesprochen! Es war nämlich dem Großvater Kist bald in den Sinn gekommen, daß es ein eigentümlich Ding war mit dem Ruhestand: Es wollte sich keine Ruhe einstellen, und nach Bewegung war ihm immerfort. Es trieb ihn auf die Bahnhöfe und ins Stellwerk und in die Wohnungen von Kollegen, die nun Veteranen waren gleich ihm. Dort wurde noch einmal die Eisenbahngeschichte des Halbjahrhunderts verhandelt; noch einmal stand in diesen auch weiterhin erregten Debatten die Entscheidung zwischen Dampf- und Diesellok auf der Kippe und auch die zwischen der Diesellok und der aus einer Oberleitung gespeisten elektrischen Zugmaschine, noch einmal tobten verbale Schlachten um Spurweiten und Kennzeichnungssysteme und um die Entbehrlichkeit oder Unentbehrlichkeit des Rangierersmit den zerbrechlichen Rippen nahe Puffer und Puffer. Noch einmal das donnernde Abenteuer des Schienenstrangs, die Ängste im Fährenbauch beim Nebel vor Trelleborg, der Schabernack mit dem pingeligen Oberamtmann von Rüdesheim, die lüsterne Witwe im Nachtzug nach Prag und das Telegrafenfräulein von Saalburg, immer dienstbereit, jungejungejunge, und die Scheiße bei Pinsk und Minsk und Hagenbecks Elefant, der nicht auf die Rampe wollte, und das Desaster bei Mülheim, wo der Willi eine Blockstelle vorher noch gesagt hat, morgen geht er heiraten, und dann sind’s vierundzwanzig Tote, und Willi ist dabei. Noch einmal Fahrt auf dem Flügelrad durch vierzig Jahre, durch ganz Europa, nur in Äquatorlängen zu messen, Schienenweg durch Frieden und Krieg, Ausgangsstation: eine Stopferkolonne in Eberswalde, Endstation: Ruhestand.
Aber dann begibt es sich, daß der Gesang der greisen Befahrenen unterbrochen wird, abgebrochen, weil eine Schwiegertochter nach Hause kommt und Bissiges zum Thema Pfeifenqualm äußert, oder das Zugtelefon ruft Herbert, der noch zwei Jahre dabeisein wird, muß, darf, an die Arbeit, schönes Wort jetzt, oder es wird einfach langsam zu windig am Gartenzaun, und man sagt: »Ja, ich werd mich auch mal trollen; muß noch sehen, ob’s wo Kaffeesahne gibt; ich brauch keine, aber Helga, die mit dem Buchhalter, trinkt ihn nicht schwarz. Na, ich hab ja Zeit, ich seh mich mal um.«
Und da begibt es
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