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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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ausläßt, kein Außen und kein Innen, kein Wort und keine Bewegung, keine Kniekehle und keine Falte im Lid und nicht ein Haar, und sie ist stille Wärme und wieder Jagen wie vor dem Tode her, und sie kommt erwartet auf bekannten Straßen und unmöglich plötzlich an unmöglichem Ort. Diese Zärtlichkeit ist auf Austausch aus, nicht einfach und schrecklich auf Entledigung; sie will teilen und haben; sie gibt sich selber rauhe Namen und hört auf leisen Anruf und ist immer da.
    Und so war dieser David immer da; auch wenn er fort war zu einer Konferenz in Äquatornähe oder entschwunden in die Schlacht gegen sorgloses Mittelmaß; er blieb erkennbar als dieser David unter dem Staub und zwischen den Girlanden derJahrestage, blieb erkennbar auf entfernten Tribünen und im Getümmel der Kongresse, Ausschüsse, Komitees, Jurys und Delegationen, blieb David, der Mann von Fran, auch unter hundert Charaktermasken: Chef, Mitarbeiter, Mitglied, Leiter, Redner, Diskussionsteilnehmer, Organisator, Teilnehmer an, Beauftragter für, Berichterstatter über, Verantwortlicher oben, Verantwortlicher unten, Verantwortlicher gestern, Verantwortlicher morgen, Veranstalter von Preisausschreiben und Umfragen, Gegner von anderen Preisausschreiben und anderen Umfragen, Initiator, Inszenator, Reporter, Kritiker und Auswerter, Mann der Zeit, Mann der Bewegung, Mann der Gesellschaft, aber bei allem, trotz allem, über allem immer der Mann von Fran.
    Wenn sie ihn an einem Vorstandstische sitzen und in seiner Kaffeetasse rühren sah, dachte sie: Der Arme, sie haben da Würfelzucker, nun kann er gar nicht krümeln.
    Wenn sie ihn in den Wolga steigen sah, dachte sie: Ich weiß, du führest gerne Motorrad.
    Wenn er ein neues Hochhaus besichtigen ging, dachte sie: Hoffentlich hilft ihm einer mit der Fahrstuhltür.
    Und wenn sie einem geschwätzigen Chef begegnete, dachte sie an ihn, und wenn sie von goldener Hochzeit las, dachte sie an ihn, und bei den Wörtern Rentner oder Kaffeesahne oder Konterrevolution dachte sie an ihn, manchmal jedenfalls dies alles und oft genug auch nichts von alledem, denn oft genug, meistens, hielt der eigene Kram sie so besetzt, daß an anderes und andere nicht zu denken war, nicht einmal an David, den Mann, der er war, und nun gar an den, der er gewesen war.
    Und an alles zusammen und alles durcheinander, Gräfinnen und pensionierte Eisenbahner, das historische Warum und die Börde und die Pythia, ökonomisch Lachhaftes und Würmer, an denen es
nicht
liegen konnte, und Silberkränze in schmuddeligem Haar und unmögliche Zärtlichkeiten, an alles dies und dieses alles durcheinander dachte sie nur in einem langen Augenblick, der begonnen hatte nach dem kurzen Satz von David Groth: »Ich soll Minister werden!«

5
    »Morgen, Christa«, sagte David, »alles in Ordnung oder irgendwelche Katastrophen?«
    »Eine wenigstens, eine mittlere, glaube ich: Carola will nicht auf Schule. Guten Morgen übrigens.«
    »Wieso: übrigens? Ich hab doch guten Morgen gesagt!«
    »Aber ich nicht.«
    »Aha. Und warum will sie nicht?«
    »Das sagt sie nur Ihnen. Ich hab sie schon gefragt, aber sie hat mir klargemacht, wo meine Nase hingehört: über die Schreibmaschine und nicht in ihre Angelegenheiten.«
    »Und du hast keine Ahnung?« fragte David, aber seine Sekretärin antwortete nicht. Sie preßte lediglich ihre ohnehin zu schmalen Lippen zusammen und drehte an ihrem Verlobungsring.
    David wußte nun: Da war nichts mehr zu holen. Wenn Christa dieses Gesicht machte und den Ring auf dem unteren Fingerglied hin und her schob, dann hieß das: Ich wüßte hier schon etwas zu sagen, aber ich werde mich hüten; ich halte mich raus! Und es hieß auch, wußte er, die Angelegenheit, von der zu sprechen Christa sich weigerte, hatte etwas mit ihrem Reizthema Nummer eins zu tun: mit den Kerlen; darüber sprach sie nicht im Dienst, es machte sie, wie sie einmal auf gemeinsamem Heimweg bekannt hatte, unsachlich. Sie hatte Grund: Sie war seit zehn Jahren mit einem Tierfarmer verlobt, der sich seiner Eltern wegen kirchlich trauen lassen wollte, was sie nicht mochte, ihrer Eltern wegen. Sie war darüber mager geworden, und manchmal rutschte ihr der Verlobungsring über den Knöchel, aber vielleicht hatten ihn auch die vielen Drehungen dünngeschliffen: Zu oft kam selbst im Dienst auf die Kerle die Rede, an der Christa nicht teilhaben wollte.
    »Sie soll gleich mal kommen«, sagte David, »oder nein, ich geh runter. Wenn was ist, sagst du, ich bin bei der

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