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noch anzuhören, die Geschichte von Großvater Kist und der REBEA, die Argumentation des Staatsanwalts und die Urteilsbegründung und die Begründung der Druckunreife und die Flüche eines Chefredakteurs und seine Seufzer und seine träumerischen Bilder aus dem Rentnerleben und seine ökonomischen Theorien mit vielen Schaudochmal und sein Gelächter ohne Buddhabauch – geeignet für alles dies war die Ehefrau Franziska, Fran genannt, und lebte deshalb zumindest ein zweifaches Leben, ihr eigenes und das von David Groth dazu.
Aber sollte es nicht so eben sein in einer Ehe, war die nicht gerade gedacht für den Austausch, für das Hin und Her nicht nur von Zärtlichkeiten und Meinungen über den Sohn, war sie nicht lediglich ein anderes Wort für zweifach, für Gemeinschaft, Gemeinsamkeit, Gegenteil zu Einsamkeit?
Schon, schon, aber manchmal war er ein bißchen viel, dieser Chefredakteur, oder er war ein bißchen viel Chefredakteur, brachte nicht nur seine Sorgen, Skrupel und Triumphe mit, sondern auch gleich deren Ursachen, stopfte das Hausvoll mit Papierquoten, Ministerratsbeschlüssen, Leserbriefen und lästigen Konferenzteilnehmern, schob gleichsam komplette und eben doch nicht komplette, weil defekte Druckmaschinen vor sich her in die Wohnstube, füllte das Schlafzimmer mit Werkneubauten und Stadtzentren, trug das Problem der ländlichen Kooperation bis in die Küche und den Weltmarkt und das Weltall mit auf die Couch.
Und manchmal, wenn man Fran hieß und noch jung war und auf der Couch lag, dachte man: Zum Teufel mit dem Weltmarkt und der PLAMAG und diesem Ideenhecker Henselmann und Kultur im Heim, hier ist meine Wohnung, und ich wollte, ich könnte eine Schleuse einbauen zwischen Wohnung und dem Rest der Welt: Guten Tag, Herr Chefredakteur, hier spricht Fran Groth, ich begrüße Sie und werde Sie gleich noch mehr begrüßen. Bitte legen Sie die Kleider ab, ich vermute, sie stinken nach der Konferenz über Alte Stadt in neuem Glanz; spülen Sie sich den Zornesschweiß aus den Achselhöhlen, ich weiß, die Modenweiber wollten wieder eine Seite mehr in Bunt; gurgeln Sie lange, denn ich mag die Rückstände nicht von Worten wie Rindertuberkulose, Bummelantentum, Napalm, Bürokratismus und Rainer Barzel, von Worten wie Siekönnmichmal und Soschlaubinichauch und Nunkommtmirbloßnichtso, von Worten voll Schimpf und Ohnmacht und Einsamkeit und Hohn und Furcht. Gehen Sie unter die Dusche und befreien Sie sich innen und außen, vom Firnis- und Rußgeruch der Druckerschwärze und vom Gestank einer unterdrückten Geschichte. Ich weiß, Sie sind Atlas, der Himmelsstemmer, nun legen Sie aber mal für ein paar Stunden den albernen Globus hin, keine Sorge, er kommt schon nicht fort, und reiben Sie nicht an der geschundenen Schulter herum, das mache ich dann schon, das und manches andere, und nun komm endlich rein, Mensch!
Aber es gab diese Schleuse nicht, und gäbe es sie, so wäre noch zweifelhaft, ob man sie dann auch wirklich wollte. Denn was wäre dieser Mensch ohne das, ohne das man ihn so oft so gern gesehen hätte? Das war nicht vorstellbar; eshätte bedeutet, ihn von seinem Leben abzulösen, ihn als ein dreidimensionales Ding vom Leben abzulösen, ihm sein Lachen zu nehmen, das ein Lebenszeichen war wie sein Stöhnen, ihm den Witz zu nehmen, der eine Antwort war auf den stumpfen Ernst im Atlasdienst, ihm die Zärtlichkeit zu nehmen und das Suchen nach Zärtlichkeit, die beide Befreiung waren von der Bosheit der Routine und den Gewalttaten des ganz gewöhnlichen alltäglichen Alltags.
Zärtlichkeit. Zärtlichkeit nahm sich anders aus mit diesem als mit anderen. Deshalb war man ja bei diesem und nicht bei einem anderen; und wer bei seinem war ohne diesen Grund, wie war der bei ihm und konnte es bleiben?
Zärtlichkeit war eine Anrede: »Meine liebe Frau, du alberne Göre!« Zärtlichkeit waren die Winzlinge von Geschichten, aufgelesen auf dem Heimweg und mitgebracht: »Ich hörte nur noch folgendes: ›… sage ich: Herr Doktor, Würmer haben bei uns alle immer gehabt, daran kann es
nicht
liegen!‹«
Zärtlichkeit war die eine Rose mitten im Smog aus Gewohnheit und verrauchenden Anfangsbräuchen.
Die Frage »Was denkst du jetzt?« war Zärtlichkeit, und ein Zuhören, dem kein Nebenton verlorenging, und der Verzicht auf jegliche Deckung vor Albernheit, Ratlosigkeit, Freßgier und anderer Gier. Und die Zärtlichkeit, die zuerst gedacht wird beim Wort Zärtlichkeit. Bei diesem und von ihm ist sie eine, die nichts
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