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wenn ich nach Hause komme, und zu Hause sitzt Arthur, der ewige Dispatcher, und merkt das und nimmt übel.«
Sie schwieg und sah vor sich hin; es war ihr anzusehen, wie zuwider ihr die Aussicht war.
David wehrte sich gegen ein aufkommendes Lachen, aber er reservierte es sich für später.
»Aber er ist doch nicht dämlich«, sagte er.
»Das nicht«, sagte sie, »aber faul. Er könnte sich diese Faulheit gar nicht leisten, wenn er dämlich wäre. Er ist bestimmt ein glänzender Dispatcher, aber das ist eitel Routine. Er hat ihnen da bei der VEAB so eine Routine hinorganisiert und sich selber so sehr zum Herzstück dieser Routine gemacht, daß sie ihn immer von allen Lehrgängen ausgenommen haben; es wäre ihnen sonst alles zusammengebrochen. Das schaffst du nicht, wenn du dämlich bist. Er nimmt nur eben kein Buch in die Hand, das ihm seine Ruhe gefährden könnte, und es raubt ihm schon die Ruhe, wenn ich eins in die Hand nehme.«
»Aber Mensch, Carola, das zerfranst mich, jetzt wo mir einfällt: Der hat dich doch überhaupt erst auf die Bücher losgelassen, oder bring ich das durcheinander?«
»Nein, ist schon richtig. Ich war verliebt in ihn, mit neunundzwanzig, großer Gott, weil er so sicher war, so bestimmt – die Routine, verstehst du –, und ich wäre seinetwegen einem Tischrückerzirkel beigetreten oder hätte das Statistische Jahrbuch auswendig gelernt, und ich bin in eine Massenorganisation nach der anderen gegangen und dann in die Partei, weil ergesagt hat: Das Leben läuft dir weg, wenn du an deinem Packtisch bleibst!, und ich hab den Wettlauf aufgenommen, aber zuerst nur seinetwegen; aus Liebe zu einem VEAB-Dispatcher Parteimitglied werden, ich glaub, das war statutenwidrig. Aber du weißt, wie das ist: Man befaßt sich mit etwas, und dann fängt das Etwas an, sich mit einem zu befassen. Man beguckt sich eine Sache, und plötzlich langt die zu und hält einen fest, und du merkst gar nicht, wie sie dich verändert, während du dich mit ihr beschäftigst.
Zuerst war Arthur sehr zufrieden mit mir, ich denk mir jetzt beinah, er hat mir insgeheim Noten gegeben; aber in letzter Zeit hat mich ein paarmal ein entsetzlicher Gedanke angefallen, ich sag ihn dir und sonst keinem: Hat nicht das Verhältnis zwischen Arthur und mir auf verquere Art einen Stich von Zuhälterei?«
»Bist du verrückt?« sagte David leise. »Wie kommst du denn auf den Irrsinn?«
»Mir wär’s lieb, wenn es Irrsinn wäre«, sagte sie, »mir wär’s lieber, als wäre es die Wahrheit. Ich sage ja auch nicht, er hätte mich ausgeschickt, damit ich ihn ernähre, er verdient gutes Geld, und Geld ist bei uns kein Thema. Aber es ist doch etwas dran, ich sage ja, auf verquere Art: Bei uns hier, hier im Land, ist Geld immer noch eine schöne Sache, aber es ist doch im ganzen keine mehr, die mehr aus dir macht, als du bist. Ich erinnere mich noch genau, wie das früher war: Wenn es da von einem hieß, der hat Geld, dann hieß das, er ist bedeutend. Sicher gibt es noch genug Leute, die so reden und so denken, aber es hat sich schon etwas anderes festgesetzt, ich seh’s doch in den Bewerbungsschreiben, und ich höre es doch bei den Kadergesprächen: ›Unsere Tochter studiert Schwachstromtechnik … Der Horscht lernt jetzt Spanisch, komisch, nicht, aber auch ganz schön … und wurde ich bereits viermal für Verbesserungsvorschläge ausgezeichnet … Nee, nee, der Friedmann, dem seine Zweitälteste ist schon Meisterin bei Sonne-Trikotagen …‹ Nein, David, das zählt hier, und das unterscheidet uns von früher.«
»Sicher, aber das soll nun ausgerechnet für deinen Arthur nicht gelten?«
»Es gilt so nicht, weil er seit siebzehn Jahren vor sich hin dispatcht und eben doch mich anschaffen schickt. Ich entwickle mich sozusagen für ihn mit, und in einer bestimmten Phase, wenn er mich da gefragt hat, was ich nun wieder von einem Lehrgang mitgebracht habe, da war es so – jetzt jedenfalls stellt sich mir das so dar –, als hätte er mir die Zahl der Freier abverlangt.«
»Das klingt aber mistig«, sagte David, »hast du mit ihm darüber gesprochen?«
»Versucht, aber erstens stellte sich dann heraus, daß ich ja keine Ahnung von seiner Verantwortung und seiner Qualifikation habe, und zweitens ist er nicht mein Kader, und ich bin nicht seine Leiterin, und die Kaderleiterin soll ich gefälligst im Betrieb lassen, und neuerdings wird er schon argwöhnisch, wenn ich ein Buch aufschlage – ob da was drinsteht, wie ich ihn qualifizieren
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