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was in die Zeitung, und weil es Wünsche sind, ist es irgendwie etwas mit der Zukunft, und ich glaube, ohne die kommt man nicht mehr aus.«
»Klar«, sagte Kutschen-Meyer, »vorwärts mußte donnern, sonst wird nischt!«
Und obwohl Klotz meinte, Leserumfragen seien der älteste Hut, und Lilo behauptete, die Briefe an ihre Adresse gäben genügend Auskunft über die Wünsche der Leser, und Gabelbach einen Haufen Unflat statt vernünftiger Antworten auf die Neue Berliner Rundschau zukommen sah, hatte Johanna Müntzer schon entschieden: »David hat das Wort gesprochen, an dem wir uns aus dem Sumpf ziehen können, in dem das Land und seine Menschen jetzt hier stecken, das Wort Zukunft. Die Zukunft aber beginnt mit Fragen, allgemein und konkret. Konkret beginnt deine Zukunft in der Neuen Berliner Rundschau, hör zu, David, ich spreche mit und von dir, indem du die Fragen stellst. Du machst die Umfrage. Die Sitzung ist geschlossen.«
»Geschlossen oder nicht«, sagte Fedor Gabelbach, »ich schlage vor, ich begleite diesen Gnom und mache ein paar Bilder.«
Er trug David auf, in genau zwei Stunden auf dem Verlagshof zu sein; bis dahin seien noch einige organisatorische Maßnahmenzu treffen. David brauchte einen Großteil der Zeit, um dem Buchhalter, der auch das Redaktionsmaterial verwaltete, zwei neue Bleistifte und einen Notizblock abzuschwatzen, aß seinen Schlag Eifo-Suppe, die aus geschroteter Gerste und geschrotetem Kürbis bestand, und ging auf den Hof. Gabelbach erschien pünktlich, die Rollei umgehängt, an jeder Hand ein Fahrrad führend und auf Brust und Rücken je ein weißes Tuch geknotet, auf dem in deutschen und russischen Buchstaben »Presse« geschrieben stand.
Er versah auch David mit solchen Zeichen, hieß ihn eines der Räder besteigen und radelte los. Erst auf der Leipziger Straße begann er zu sprechen, aber als sich David an seine Seite setzen wollte, winkte er ihn energisch zurück nach hinten. »Das ist gegen die Vorschrift. Reporter müssen sich strikt an die Vorschriften halten, wo dies ihre Arbeit nicht beeinträchtigt. Haben Sie schon einen Plan?«
»Was für einen Plan? Wir sollen fragen, was sich die Leute für das nächste Jahr wünschen; wozu da noch einen Plan?«
»Wie Sie meinen«, sagte Gabelbach und gab sich dabei nicht die geringste Mühe, den Kopf zu wenden oder lauter als gewöhnlich zu sprechen.
»Aber eine Frage habe ich«, rief David, »wozu haben wir die Tücher um? Ich finde, das sieht ein bißchen eigenartig aus.«
»Es sähe noch eigenartiger aus, wenn wir ohne die Räder zurückkämen«, sprach Gabelbach in die Fahrtrichtung, »die Räder sind geliehen, Herr. – Sie haben also keinen Plan?«
»Nein, ich dachte mir, wir fangen irgendwo an und fragen den erstbesten.«
»Wie Sie meinen«, sagte Gabelbach, »aber Sie fragen, ich bin lediglich der Fotograf, und da ist schon der erstbeste.« Er zeigte mit dem rechten Arm seine Halteabsicht an, hielt, stellte etwas umständlich sein Fahrrad gegen die Bordsteinkante, öffnete seine Rolleitasche und ging auf einen älteren Mann zu, der verloren auf dem leeren Dönhoffplatz auf einem verrosteten Kradbeiwagen saß.
David blieb nichts anderes, als hier und mit diesem Mann seine Umfrage zu beginnen.
»Guten Tag«, sagte er, »wir sind …«
»Seh ich ja«, sagte der Mann und zeigte auf Davids Pressetuch, »was möchten Sie wissen?«
»Ja, also, wir machen eine Umfrage …«
»Glaub ich ja«, sagte der Mann und zeigte auf Davids Notizbuch, »was möchten Sie wissen?«
»Was Sie sich vom neuen Jahr erhoffen; ich meine, was Sie sich da wünschen.«
»Erhoffen nichts, wünschen schon«, sagte der Mann.
»Und was wäre das, das, was Sie sich wünschen?«
Der Mann sah über die Trümmerhalden hinüber zum Roten Rathaus und sagte: »Sie können das niederschreiben: Ich wünsche mir die Wiedereinführung der Mensendieck-Gymnastik, Mensendieck mit i, e, c, k am Ende, nach der Begründerin, Bess Mensendieck, New York. Die einzige Turnmethode, die bei der Gestaltung der Körper- und Bewegungsformung den anatomisch-physiologischen Gesetzen des Frauenkörpers gerecht wird. Die einzige Art Gymnastik, die den Einfluß des Männerturnens bewußt ausscheidet. Die einzige Muskelübung, die in gesunder Verbindung mit dem Alltagsleben eine gründliche gesundheitliche und schönheitliche Körperdurchbildung ermöglicht.«
Er erhob sich, wackelte auf einem Bein herum und erklärte, während er die Arme über der Brust verschränkt und den
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