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abgeliefert, ich bin hier ja allein, Frau Müntzer, was fragen Sie nun mich? Die hat mir versprochen, ich soll bei ihr lernen, und auch wenn es wie eine Drohung geklungen hat, war es ein Versprechen. Und nun schubst sie mich in dieses Loch. Wie soll ich denn da rauskommen, du Ungeheuer mit deinen blauen Strümpfen? Das ist, das ist Ausbeutung, ist das, genau wie Meister Treder macht die das und wie der General: Nu mal los, Daffi, nu mach mal was, und wie du’s machst, will ich gar nicht wissen, aber mach! Immer Daffi, immer David! Ich hab hier Bote werden wollen und doch nicht Assistent! Ich weiß ja nicht mal genau, was das ist: Assistent.
»Ja«, sagte David, und Penthesilea strahlte ihn an, als habe er etwas sehr Menschliches gesagt.
»Ja«, sagte er, »wenn alle meinen, etwas fehlt, dann muß man erst einmal herausfinden, was. Man könnte reihum fragen: Was fehlt?, aber es hätte kaum Sinn, denn niemand hat gesagt, das und das fehlt, jeder, außer Herrn Klotz, hat gesagt: Etwas, etwas fehlt. Wenn man das so sagen kann: Es fehlt uns ein Wissen über das, was uns fehlt.«
»Man kann es nicht nur so sagen«, rief Johanna Müntzer, »man muß es so sagen. Du hast einen Grundzug unserer Zeit formuliert. Vielen Menschen geht es heute so: Es fehlt ihnen ein Wissen von dem, was ihnen fehlt. Weiter so, David!«
Ja, du trojanisches Mordsweib, dachte David, weiter so ist nun sehr schön, das ist genau die Meister-Treder-Art: Wenn aber nu der Schickedanz von Borsig partout eine Silberbüchse haben will, wie Winnetoun seine, und wir haben im Keller noch das Ballerding von Dreyse und eine kleine Rolle Silberdraht haben wir auch noch, was denn da wohl weiter,Daffi? Der Meister Treder war genauso ein Ausbeuter wie Sie, Frau Müntzer, bloß ohne blaue Strümpfe, und der Gabelbach grinst schon wieder.
»Deshalb«, sagte David, »deshalb hätte es keinen Sinn, hier im Kreis herumzufragen: Herrn Klotz fehlt nichts, Fräulein Lilo müßte erst einen Fachmann fragen, was ihr fehlt, Genosse Meyer ist nicht verpflichtet, so was zu wissen, Herrn Gabelbach ist es sowieso zu unübersichtlich, und die Chefin ist die Chefin. Dann bliebe noch ich, aber ich bin neu, und wenn ich gefragt würde, was fehlt, möchte ich sagen: alles, aber das ist Quatsch, weil alles gar nicht reingeht in so ein Heft. Außerdem wird die Zeitung nicht für mich gemacht. Vielleicht könnte man die mal fragen, für die die Zeitung gemacht wird?«
»Ausgezeichnet«, sagte der Redakteur Klotz, denn er wußte seine Tätigkeit im Einklang mit den Leserwünschen und war sicher: Eine solche Erkundung würde nur bestätigen, was seine Meinung von Anbeginn gewesen war: Es fehlte nichts, höchstens mehr von dem, was aus seinen Ressorts in die Rundschau kam.
»Ausgezeichnet, sagen Sie?« warf Gabelbach ein. »Ausgerechnet, kann ich da nur sagen! Die Zeitung, die Sie nach den Wünschen der Leser herstellen, wird ein Lunapark ohne Sinn und Verstand, ein Tivoli aus wüstem Tand, Disneyland für Hirngeschädigte, ein Prater für Wiener wird das, Gips und Sägespäne auf Papier, das haben die Amerikaner schon lange, und nun sehen Sie sich diese Amerikaner an!«
»Nein«, sagte Johanna Müntzer, »wir sehen uns diese Amerikaner nicht an, jetzt nicht, denn mein Assistent hat seinen Gedanken noch nicht zu Ende entwickelt. Entwickle deinen Gedanken zu Ende, David!«
Kannst du denn nicht Ruhe geben, Mörderin, dachte David, das hätte sich jetzt so schön aufgelöst, Gabelbach hätte über Amerika erzählt, der war in Amerika, Kutschen-Meyer hätte ihm die Negerfrage gestellt, Fräulein Lilo hätte von ihrem prägenden Gespräch mit Afrikaforscher Schomburgk berichtet und dabei gesprochen, als hätte sie einen Ringdurch die Nase, alle hätten sie zu tun gehabt und mich vergessen, aber nein: Entwickle deinen Gedanken zu Ende, David! – Denk dir mal was aus, Daffi, wat wir mit die Armbrust machen! – Was ist denn bloß mit mir, daß ihr das mit mir machen könnt? Und der Gabelbach reibt sich die Hände!
»Weil«, sagte David, »weil es aber vielleicht wirklich noch zu früh ist, die Leute zu fragen, was ihnen in der Zeitung fehlt, müßten wir sie mal fragen, was ihnen überhaupt fehlt, so allgemein, und weil man keinen Menschen fragen soll, was ihm fehlt, weil er sonst ins Jammern kommt, sollten wir lieber fragen, was sie sich wünschen, und weil jetzt bald ein neues Jahr kommt, wäre das auch ganz unauffällig. Wenn wir die Wünsche von den Leuten aufschreiben, kriegen wir
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