Das Inferno Roman
befreit haben. Ich war furchtbar lange weg.
Sie ist noch da, sagte er sich. Sie muss da sein.
Die Ziegelsteinmauer zeigte an einigen Stellen Risse, die durch das Beben entstanden waren. Sie führte wie ein schmaler Pfad von Stanley weg, an seiner Einfahrt entlang, vorbei an der eingestürzten Garage bis zur Ecke, wo sie an der Rückwand anschloss.
Ich kann es schaffen, sprach Stanley sich Mut zu.
Es wäre bedeutend einfacher als von der Mauer herunterzuspringen, sich durch seinen Garten zur Rückwand vorzuarbeiten und diese dann zu überwinden … Und schneller ginge es auch. Und wenn er oben auf der Mauer bliebe, würde er Sheilas Haus nicht aus den Augen verlieren.
Nachdem er sich für jene Möglichkeit entschieden hatte, drehte sich Stanley um und begann, auf der Mauer loszulaufen. Er hielt die Säge fest in seiner linken Hand. Er streckte beide Arme seitlich aus, um sein Gleichgewicht zu halten, und behielt die Mauer unter seinen Füßen im Blick.
Ich sollte das nicht tun, dachte er. Ich bin nicht mehr ganz bei Trost.
Nein. Auf diesem Weg gelange ich am besten zu Sheila - solange ich nicht von der Mauer falle.
Ich werde nicht fallen, sagte er sich. Das ist ein Kinderspiel.
Aber wenn mir jemand zusieht?
Beim Gedanken daran wurde ihm flau im Magen.
Hier stehe ich, und jeder kann mich hier oben sehen.
Ich sollte wirklich nicht hier oben sein, war er sich jetzt sicher.
Aber es war zu spät, etwas daran zu ändern. Jetzt konnte er nicht mehr von der Mauer springen. Bei einem Sprung nach rechts würde er in den groben Schuttresten der Garage landen, wo er sich aller Wahrscheinlichkeit nach verletzen würde. Zu seiner Linken würde er in Judys Rosenbüsche fallen.
Er lief schneller.
Die werden mich für den wilden Mann aus dem Dschungel halten.
Ja, dachte er. Aber was sollten sie schon dagegen tun? Nichts, gar nichts. Wenn mich jemand so hier rumlaufen sieht, wird er mich für geisteskrank halten und auf Abstand bedacht sein. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen.
»Sie sind diejenigen, die sich Sorgen machen sollten«, murmelte er.
Dennoch verspürte er große Erleichterung in sich aufsteigen, als er das Ende der Mauer erreicht hatte. Er hatte große Lust, einfach zu springen.
Mach’s bloß nicht, dachte er. Das wird zu sehr wehtun. Und was, wenn ich mir den Knöchel verstauche?
Also setzte er sich an der Ecke, an der die beiden Mauern zusammenliefen, und ließ die Füße hängen. Die Mauerblöcke fühlten sich heiß und kratzig unter seinem Hintern an. Er warf seine Säge auf den Boden. Dann stieß er sich mit beiden Händen von der Mauer ab.
Es war kein tiefer Fall. Die Landung war sanft, und es gelang ihm, sich auf den Beinen zu halten.
Gut, dass er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Hier, verdeckt von der Mauer, fühlte er sich sicher. Er hob seine Säge auf und joggte über das Gras zum Innenhof. Dort blieb er stehen, um Luft zu schnappen. Er betrachtete Sheilas Liegestuhl.
Das grüne Polsterkissen war ausgeblichen und fleckig. Er konnte fast spüren, wie sich der aufgeheizte Stoff in sein Gesicht drückte. Er wusste, wie er roch. Er kannte seinen Geschmack.
Falls ich nochmal ein Nickerchen machen muss, dachte er, dann hier.
Vielleicht kann ich sie sogar darauf ficken!
Er stellte sich vor, wie Sheila unter ihm auf dem Liegestuhl lag, wie sie sich anfühlen würde, so heiß und schlüpfrig, und wie der Liegestuhl bei jedem seiner Stöße wackeln würde.
Er würde wackeln und dann zusammenbrechen.
Er ist nicht stabil genug, uns beide auszuhalten, entschied er. Das Ding würde in die Knie gehen. Außerdem wären wir für alle sichtbar. Jemand würde vorbeikommen und versuchen, sie zu retten.
Ich muss sie irgendwo hinbringen, wo wir nicht gestört werden. Erst in Judys Haus zur Party. Dann vielleicht rüber zum Pool.
Stanley ging um den Liegestuhl herum. Als er sich den Überresten des Hauses näherte, wollte er zuerst nach ihr rufen. Wenn er sie rief, würde Sheila vielleicht antworten. Dann wüsste er, dass sie immer noch da war, dass es ihr gutging.
Aber was, wenn jemand anderes als Sheila ihn hörte?
Besser, ich schleiche mich rein.
Keinen Krach machen und die Überraschung auf meiner Seite haben.
Er stieg über die Reste der eingestürzten Hausrückwand und bahnte sich seinen Weg durch den Schutt. Er bewegte sich vorsichtig. Er hielt die Augen nach Nägeln und Glassplittern offen. Bei jedem Schritt setzte er die Füße vorsichtig auf und versuchte, keine
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