Das Intercom-Komplott
Verstehens war erreicht. Mit einemmal waren sie miteinander vertraut.
»Da solche dienstlichen Instruktionen aber nun einmal unter allen Umständen befolgt werden müssen«, sagte Jost, »ob man von ihrer Richtigkeit überzeugt ist oder nicht, schlage ich vor, den Mann mit der Whiskyflasche zu vergessen und höchstens noch an den freundlichen Hauptmann und seinen beachtlichen Major zu denken.«
Brand nickte. »Sie haben recht, so machen wir es. Aber« – und bei diesen Worten kam Abschied in seinen Blick – »verstehen Sie es bitte nicht falsch, wenn ich Sie noch einmal an den MP-Leutnant erinnere, der uns heute morgen als erster verhörte. Fanden Sie ihn nicht auch außerordentlich interessant?«
»Weil etwa sein erster Gedanke war, wir könnten verkleidete Zeitungsreporter sein?«
»Ja, und weil ihn das viel mehr in Harnisch brachte als die Möglichkeit, er könnte es bei uns mit feindlichen Agenten zu tun haben. Ich hatte ganz den Eindruck, daß er daran nicht einmal dachte.«
»Vergessen Sie nicht, daß er zwar mit Presseleuten schlechte Erfahrungen machte, aber daß er wahrscheinlich noch nie mit Spionen zu tun hatte.«
»Wahrscheinlich nicht. Trotzdem erkläre ich mir sein Verhalten anders. Ich halte ihn für einen Realisten aus Instinkt.«
Jost sah seinen Begleiter erstaunt an. »Ich fürchte, das müssen Sie mir genauer erklären.«
Mittlerweile hatten sie das Stadtgebiet erreicht. Die vorbeihuschenden Straßenlaternen warfen ein flackerndes Licht auf ihre Gesichter. Brand lächelte.
»Ein Realist deshalb«, sagte er, »weil er zu denen gehört, die annehmen, daß die meisten der von uns so eifersüchtig bewachten Geheimnisse der anderen Seite schon bestens bekannt sind, wie ja auch die meisten der vom Feind bewachten Geheimnisse zu uns durchgedrungen sind. Er gehört aber auch zu denjenigen, die davon überzeugt sind, daß man sich an die Spielregeln halten muß, daß man so tun muß als ob, daß Außenstehenden jeder Einblick in unsere verrückte Welt zu verwehren ist – und daß beide Seiten nur einen gemeinsamen Gegner haben: den kleinen Jungen, der des Kaisers neue Kleider durchschaute, der den Kaiser nackt sah.«
»Gefährliche Worte, Herr Oberst!«
Sie lachten. Als Jost aus dem Fenster sah, erkannte er, daß sie ihr Ziel fast erreicht hatten. »Ich nehme an, daß Sie das Abendessen heute gemeinsam mit Ihrem Botschafter einnehmen.«
»Leider ja. Und Ihnen geht es nicht anders?«
»Ja. Aber vielleicht könnten wir morgen abend diese nützliche bilaterale Diskussion fortsetzen?«
»Dasselbe habe ich gerade überlegt.«
Eine Freundschaft hatte begonnen.
Die Chefs staatlicher Nachrichtendienste – mit einem Geheimbudget ausgestattet und oft in der Lage oder verpflichtet, nicht allzu legale Methoden anzuwenden – werden leicht zu Hinterzimmerpotentaten. Das ist schon in der Natur ihrer Aufgaben begründet. Solange sie und ihre Untergebenen keine Böcke schießen, die sich nicht mehr verbergen lassen, sind sie gegen jede öffentliche Kritik immun. Das Geheimhaltungs-Tamtam und der allgemeine Glaube daran, daß man informiert sein müsse, erwiesen sich immer wieder als schier unüberwindbare Bollwerke. Und wenn diese Bollwerke dadurch verstärkt werden, daß die dienstvorgesetzten Minister »nichts wissen« – was übrigens oft der Fall ist –, können die Männer dahinter sich sicher fühlen, auch wenn die Angriffe von gegnerischen Fraktionen innerhalb der Regierung, der sie dienen, vorgetragen werden. Nachrichtenchefs gewinnen in der Regel mehr Einfluß, als ihren Pflichten entsprechen würde. Tatsächlich sind sie niemandem verantwortlich, und je länger sie auf ihrem Posten bleiben, desto mächtiger werden sie. Und unvermeidbar ist es, daß sie ein wenig arrogant werden. Diese Arroganz wird natürlich meistens hinter wohleinstudierten Masken beruflicher Objektivität und Zurückhaltung verborgen, sie nimmt auch vom einen zum anderen die verschiedensten Formen an, aber sie ist da. Worin und wie sie sich ausdrückt, hängt vom Charakter des jeweiligen Mannes ab, von seinen Hoffnungen, seiner Selbstgefälligkeit, von den Umständen, den politischen Gegebenheiten, in denen er arbeitet, von Zeit und Gelegenheiten. Es gab Abwehrchefs, denen es gefiel, Herren zu dienen, die sie in Wirklichkeit verachteten; es gab aber auch andere, die ihrem Gewissen folgten, obwohl es sicherer und einträglicher gewesen wäre, anders zu handeln. Es gab Chefs von Nachrichtendiensten, die zu Königsmachern
Weitere Kostenlose Bücher