Das Intercom-Komplott
Ist Ihnen je der Gedanke gekommen, die gegenwärtige Entwicklung von elektrisch oder mit Dampf betriebenen Kraftwagen könnte Teil eines Komplotts gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem sein? Nein? Der General hätte es fertiggebracht, eine aufregende Story daraus zu machen. Und er hatte nicht nur eine Rosine im Hirn, sondern Hunderte davon. Könnten Sie sich vorstellen, was er sagen würde, wenn er hier wäre? Ich verrate es Ihnen: Man habe ein Mordkomplott gegen ihn angezettelt – und habe Erfolg gehabt.«
Totenstille trat ein. Der Polizist sah mich an, als hätte ich zugegeben, ein Sittlichkeitsverbrechen begangen zu haben. Offenbar hatte er nicht verstanden, was ich ihm erklären wollte, oder er hatte mich mißverstanden. Also versuchte ich es noch einmal, mit einem Beispiel, das auch er kapieren mußte.
»Begreifen Sie denn nicht, was ich meine? Der gesunde Menschenverstand legt doch nahe, daß der Mörder ihn sehr gut kannte; es war sogar eine ganze Mörderbande: zu hoher Blutdruck, zu hoher Cholesterinspiegel, Streß und Konsorten. Eine etwas banale Theorie, wie ich fürchte. Der General hätte nicht eine einzige Sekunde lang daran geglaubt. Wie hätte es diese verhältnismäßig harmlose Bande sein können, wo doch draußen die Welt voller Teufel ist, die Komplotte schmieden, Böses planen, mit Giftampullen und KP-Mitgliedsbüchern in der Tasche? Und wen wollten diese Bösewichter zuerst vernichten? Wen anders als ihren Erzfeind, den großen Kreuzfahrer der Freien Welt für die Wahrheit, unseren gemeinsamen Freund Luther B. Novak? So arbeitete es in seinem Verstand.«
Ihren leicht irritierten Blicken war anzumerken, daß sie nicht begriffen hatten. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, daß ich unversehens vom Französischen ins Englische umgeschaltet hatte. Ich wollte ihnen die ganze Geschichte also ein zweites Mal erzählen, aber der Polizist unterbrach mich.
»S’il vous plaît, Monsieur, aber das ist Zeitverschwendung. Ich nehme wohl zu Recht an, daß Sie sich ununterbrochen in Begleitung des Generals befanden – von seinem Eintreffen auf dem Flugplatz bis zu seiner Einlieferung ins Krankenhaus?«
»Ja.«
»Dann nehme ich an, daß Sie sich – angesichts des Verdachts des Generals, vergiftet worden zu sein – einer Autopsie sicherlich nicht widersetzen, sie vielleicht sogar begrüßen?«
Ich hätte ihm eine runterhauen können. »Wollen Sie damit etwa sagen, Sie verdächtigten mich ?«
»Solange die Ergebnisse der Autopsie noch nicht feststehen, stellt sich die Frage nach dem möglichen Täter nicht.« Er grinste unangenehm. »Trotzdem mußte ich feststellen, daß Ihr verstorbener Arbeitgeber nicht der einzige Exzentriker war.«
Der Arzt lachte. Weil es mir mittlerweile völlig egal war, was man mit dem General machte, wandte ich mich zum Gehen. Ich wollte ganz einfach fort von hier.
»Einen Augenblick, Monsieur.« Es war die Stimme des Polizisten. »Ihre Papiere, bitte.«
Ich gab ihm meine Aufenthaltsgenehmigung. Mit größter Sorgfalt blätterte er von Seite zu Seite. Er schrieb sich nichts auf, aber offenbar lernte er alles Wichtige auswendig. Schließlich gab er sie mir zögernd zurück, als bedauerte er, nichts gefunden zu haben. Und sein Abschiedsnicken war nicht weniger zögernd. Sicher würde er mich so bald nicht vergessen. In Monsieur Vaubans Buch war ich mit roten Lettern eingetragen.
Das Ergebnis der Autopsie erfuhr ich von Dr. Bruchner, dem Basler Anwalt des Generals.
Novak war an einer ›Herzinsuffizienz nach einem durch Koronarverschluß verursachten Myokardinfarkt‹ gestorben. Die Klinik stellte den Totenschein aus, und wenige Stunden später flog die Leiche des Generals in die Vereinigten Staaten, wo sie beigesetzt werden sollte. Ein Beamter des amerikanischen Konsulats erwies gemeinsam mit mir und Dr. Bruchner dem Toten an der Frachtrampe des Flughafens die letzte Ehre.
Bevor Dr. Bruchner nach Basel zurückkehrte, sagte er mir, er habe sich mit dem Nachlaßverwalter des Generals in Amerika in Verbindung gesetzt; bis ich andere Anweisungen erhalten würde, sollte ich meine Arbeit fortsetzen. Natürlich war er darüber unterrichtet, daß ich die Artikel für Intercom praktisch allein geschrieben hatte, aber er wußte ebensogut wie ich, daß das Blatt ohne den Namen des Generals nicht viel wert war. Wir einigten uns auf eine Zwischenlösung, um der neuen Lage gerecht zu werden. An Stelle des Namens des Generals sollte von nun an im Impressum erscheinen:
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