Das ist nicht wahr, oder?
schon nicht mehr an seinen Wundern teilhaben konnten, würde mir der nächste Mülltaucher meine Großzügigkeit und Wohltätigkeit danken, beides Eigenschaften, die Gott bestimmt schätzte.
Jahre später begriff ich, dass meine Großmutter mit ihrem Urteil über das Magazin recht gehabt hatte. Statt der auf Hochglanz getrimmten, aber seichten PLAYBOYS las ich viel lieber ihre alten, zerknitterten Exemplare von HOUSEWIFE CONFESSIONS und TRUE HOLLYWOOD SCANDALS. Nacktheit spielte dort so gut wie keine Rolle, dafür war die Handlung viel interessanter, als sie beim PLAYBOY je sein würde. »Sag deinen Eltern nichts«, meinte Grandlibby mit einem verschmitzten Grinsen.
Ich erwiderte ihr Lächeln. Da brauchte sie sich keine Sorgen zu machen.
JENKINS, DU WICHSER
Als ich noch klein war, sagte meine Mutter oft, ich hätte einen »nervösen Magen«. So nannte man in den Siebzigern eine unbehandelte schwere Angststörung. Damals wurde alles mit Vitaminen geheilt und der Drohung, ich müsste bei meiner Großmutter leben, wenn ich mich weiterhin vor anderen Menschen in meiner Spielzeugkiste versteckte.
Mit sieben wusste ich, dass mit mir etwas nicht stimmte und dass die wenigsten Kinder hyperventilieren und sich übergeben, wenn sie aus dem Haus gehen sollen. Meine Mutter nannte mich »eigen«, die Lehrer hinter vorgehaltener Hand »neurotisch«. Aber tief im Innern wusste ich, dass es ein noch treffenderes Wort für meinen Zustand gab.
Zum Scheitern verurteilt.
Und zwar deshalb, weil ich mich jedes Weihnachten aus Panik vor der Anwesenheit so vieler Menschen unter den Küchentisch meiner Tante flüchtete. Weil ich in der Schule kein Referat halten konnte, ohne vor den Augen meiner Klassenkameradinnen in unkontrolliertes hysterisches Kichern auszubrechen. Weil ich felsenfest davon überzeugt war, dass etwas unaussprechlich Schreckliches passieren würde, ohne dass ich es verhindern konnte. Und damit meine ich nicht die normalen schrecklichen Dinge, vor denen Kinder Angst haben, wie vom Vater mit einer blutigen Handpuppe aufgeweckt zu werden. Sondern Dinge wie den nuklearen Holocaust, eine Kohlenmonoxidvergiftung oder aus dem Hause gehen und mit anderen Leuten als meiner Mutter verkehren müssen. Wahrscheinlich war mir das angeboren, aber ich habe den Verdacht, dass meineSozialangst zumindest teilweise auf ein ganz bestimmtes Erlebnis zurückgeht.
Als ich in der dritten Klasse war, kam mein Vater eines Abends ins Haus gestürzt und sagte, wir sollten alle nach draußen kommen und uns ansehen, was er im Laderaum seines Pickups mitgebracht habe. Ich war zwar noch klein, wusste aber bereits aus Erfahrung, dass eine solche Ankündigung nichts Gutes bedeutete.
Ich wechselte einen misstrauischen Blick mit meiner Schwester, und meine Mutter spähte vorsichtig durch das Küchenfenster, um zu sehen, ob sich im Wagen meines Vaters etwas Großes bewegte. Das war der Fall. Sie sah uns mit einem Blick an, den mein Vater immer als »Was habt ihr Mädchen doch für ein Glück mit einem so abenteuerlustigen Vater« zu interpretieren schien, während ich darin las: »Eine von euch wird die Überraschung eures Vaters vermutlich nicht überleben, wahrscheinlich Lisa, sie ist kleiner und kann noch nicht so schnell rennen. Dafür kann sie sich gut an engen Orten verstecken, also ist der Ausgang offen.« In Wirklichkeit bedeutete er wohl: »Du meine Güte, kann nicht mal jemand schnell Xanax erfinden?«
Wenn mein Vater wollte, dass wir nach draußen kommen und uns ansehen, was er geladen hatte, bedeutete das normalerweise, dass die Ladung so blutig und/oder so widerspenstig war, dass er sie nicht allein nach drinnen befördern konnte. Wir blieben dann alle im vergleichsweise sicheren Haus und versuchten durch verschiedene Fragen herauszubekommen, welcher Gefahrenstufe Daddy uns aussetzen wollte. Wir hatten gelernt, seine Antworten entsprechend zu interpretieren, und eine Art »Gefahrenwörterbuch unseres Vaters« entwickelt, wie wir es später nannten.
Ein Auszug daraus:
»Das gefällt dir bestimmt.«
»Ich habe keine Ahnung, was Kinder mögen.«
»Zieh deinen schwarzen Mantel an.«
»Du bekleckerst dich wahrscheinlich mit Blut.«
»Es wird nicht wehtun.«
»Wir betäuben die Stelle nachher mit Bactine.«
»Er ist schon ganz aus dem Häuschen.«
»Er hat Tollwut.«
»Komm ihm lieber nicht zu nahe.«
»Ich habe diesen Affen umsonst gekriegt, weil er einen Virus hat.«
»Es mag dich!«
»Du bist jetzt für dieses Wildschwein
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