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Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Lawson
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zuständig.«
»Das ist wirklich interessant.«
»Davon wirst du noch mit dreißig Albträume haben.«
»Nicht schreien, sonst erschreckst du es.«
»Du solltest jetzt wirklich laufen, so schnell du kannst.«
»Es will dir einen Kuss geben.«
»Es wird dich wahrscheinlich ins Gesicht beißen.«
    Mein Vater klagte über unser mangelndes Vertrauen, aber ich erinnerte ihn daran, dass er erst in der vergangenen Woche seiner Mutter eine Schachtel mit einer noch lebenden, wütenden Schlange gebracht hatte, die er auf dem Weg zu ihrem Haus auf der Straße gefunden hatte. Er wollte sich verteidigen, aber meine Schwester und ich waren beide dabei gewesen, als er die Schachtel vor die Haustür gelegt und seine Mutter herausgerufen hatte, um eine »Überraschung« zu sehen. Dann hatte er den Deckel der Schachtel mit den Fuß vorsichtig angehoben. Die Schlange sprang heraus und meine Großmutter und ich rannten nach drinnen. Lisa rannte in die entgegengesetzte Richtung und wollte auf die Ladefläche des Lasters springen, eine unglaubliche Kurzschlusshandlung, weil mein Vater genau dort die gehäuteten, nicht mehr identifizierbaren Tiere lagerte, deren Skelette er später zu Studienzwecken freilegen wollte. Die Ladefläche vom Pickup meines Vaters wäre bestimmt in Dantes INFERNO eingegangen, wenn Dante je im ländlichen Texas gewesen wäre.
    Die Erinnerung daran war uns immer noch lebhaft gegenwärtig, als mein Vater uns jetzt in die kalte, dunkle Nacht hinausschob, um uns die grässliche Beute zu zeigen, die er gefangen, geschossen oder überfahren hatte. Meine Schwester und ich blieben ängstlich zurück, meine Mutter holte entschlossen Luft, beugte sich vor und blickte in die Augen eines Dutzends lebender Vögel, die aussahen, als hätten sie einen Trip durch die Hölle hinter sich. Einige kreischten empört, doch die meisten hockten benommen in der Ecke, zweifellos zutiefst traumatisiert vom Fahrtwind und dem Zwangsaufenthalt auf der Ladefläche in Gesellschaft verschiedener Tierkadaver, die mein Vater wahrscheinlich zu präparatorischen Zwecken von irgendwo geholt hatte. Für die Vögel muss es gewesen sein wie eine Mitfahrgelegenheit bei einem Fremden, in dessen Auto man dann beim Einsteigenermordete Tramper vorfindet, die zu Lampenschirmen verarbeitet werden sollen.
    Mein Vater erklärte, es handle sich um gesittete Riesenwachteln aus Wisconsin, meine Mutter entgegnete, das wären wohl eher rauflustige Truthähne. Mein Vater sagte, er hätte die Tiere gegen die rostige Armbrust eingetauscht, die er einige Monate zuvor nach Hause gebracht hatte, und das die Vögel im Grunde das geringere zweier Übel wären. Meine Mutter schüttelte daraufhin nur den Kopf und kehrte an ihre Putzarbeit im Haus zurück. Sie wusste, wann sie kämpfen musste, und war vermutlich zu der Erkenntnis gelangt, dass die
Wachteln-die-eigentlich-Truthähne-waren
für uns alle die geringere Gefahr darstellten.
    Die Vögel liebten meinen Vater mit abgöttischer Leidenschaft. Respektvoll folgten sie ihm überallhin, und ich kann nur vermuten, dass sie unter einer Art Stockholm-Syndrom litten, das bestimmt noch dadurch verstärkt wurde, dass sie ihn alle paar Tage tote Tiere ins Haus tragen sahen. Mein Vater war die einzige Person, die sie in ihrer Nähe duldeten. Im Laufe der Monate wurden sie größer, lauter und immer unausstehlicher. Sie saßen auf den untersten Ästen der Bäume und schrien meine Mutter jedes Mal an, wenn sie aus dem Haus ging. Mein Vater behauptete, die Wachteln wären nur ein wenig exzentrisch und wir würden ihr wütendes Kollern missverstehen, das er als Freudengesang interpretierte. Unsere Vorbehalte gegen die Wachteln wären nur ein Zeichen unseres schlechten Gewissens. Meine Mutter meinte daraufhin, man müsste ihn wohl ein paar Mal mit einer Gabel in den Schenkel stechen, um ihm die Augen zu öffnen, sie sagte das allerdings mehr mit den Augen als mit dem Mund und mein Vater schenkte beidem im Grunde herzlich wenig Beachtung.
    Die Vögel wurden immer größer und garstiger und ich dankte Gott, dass wir keine Nachbarn hatten, die miterlebenmussten, wie sie sich aufführten. Ich hatte auch so schon mit Unsicherheit und Schüchternheit zu kämpfen und die peinlichen Truthahnattacken stärkten mein ohnehin schon geringes Selbstbewusstsein nicht gerade. Meine Schwester und ich versuchten sie nach Kräften zu ignorieren, was schwierig war, weil mein Vater ihnen unbedingt Namen geben und sie wie Haustiere behandeln wollte. Haustiere,

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