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Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Lawson
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die sich wutentbrannt auf uns stürzten und nach unseren kleinen Knöcheln schnappten, während wir in Kreisen um den Hof rannten und schrien, bis jemand die Tür zum Haus aufmachte und uns hineinließ.
    Lisa versuchte meinem Vater beizubringen, dass die Vögel (unter Führung eines besonders unberechenbaren Truthahns, der aus einem unerfindlichen Grund Jenkins hieß) uns fressen wollten, aber mein Vater versicherte ihr, Wachteln besäßen nicht einmal Zähne. Selbst wenn sie uns töten könnten, könnten sie uns doch keinesfalls fressen. Er hielt das wahrscheinlich für einen Trost.
    »Und haben
Truthähne
Zähne?«, fragte meine Schwester listig.
    Mein Vater wollte sie schon zu mehr Respekt vor Erwachsenen anhalten, wurde aber abgelenkt und musste Jenkins beruhigen, der sich auf die Motorhaube des Postautos gesetzt hatte, wütend auf die Scheibenwischer einhackte und zugleich den Postboten mit einem anklagenden Kollern erschreckte.
    Wir leben an einer ländlichen Straße, der Postbote war es deshalb gewohnt, von streunenden Hunden belästigt zu werden. Auf einen wütenden Truthahn war er weniger vorbereitet. Empört brüllte er: »Sperren Sie den verdammten Truthahn weg, wenn Sie ihn nicht unter Kontrolle haben.«
    Mein Vater hob den großen Vogel unter ziemlichem Kraftaufwand vom Auto herunter, klemmte ihn sich unter den Arm und sagte (mit einer erstaunlichen Würde für einen Mannmit einem Truthahn unter dem Arm): »Das ist eine
Wachtel,
mein Herr. Und sie heißt Jenkins.« Ich war damals überrascht über die Gelassenheit und Ruhe meines Vaters, zumal Jenkins den Postboten wütend anschrie und zugleich das schlaffe Gummiteil des Scheibenwischers mit dem Schnabel wie eine Peitsche hin und her schwang. Nicht überrascht war ich, als wir am folgenden Tag in unserem Briefkasten die Nachricht vorfanden, dass wir ab sofort nicht mehr ein 25-Cent-Stück statt einer Briefmarke auf unsere Briefe kleben dürften und Pakete künftig beim Briefkasten abgestellt und nicht bis zur Haustür geliefert würden. Das ärgerte vor allem meine Mutter, die nicht zum Briefmarkenkaufen in die Stadt fahren wollte und außerdem wusste, dass »beim Briefkasten abstellen« hieß, dass der Postbote die Post aus dem fahrenden Auto in die ungefähre Richtung unseres Hauses warf. Die Truthähne fanden sich mit der neuen Situation schnell zurecht und sammelten die Post im Hof ein, was ja auch hilfreich gewesen wäre, wenn sie sie anschließend wie ein Hund zum Haus gebracht hätten. Stattdessen schleppten sie die Briefe stolz mit sich herum, als handelte es sich um wichtige Truthahndokumente, die meine Mutter ihnen klauen wollte. Meine Mutter wollte meiner Schwester und mir weismachen, es wäre ein lustiges Spiel, den Truthähnen täglich die Post abzunehmen, aber wir lehnten mit dem Argument ab, ein Fangspiel, das immer mit blutigen Knöcheln und potenzieller Vogelgrippe ende, mache keinen Spaß.
    Viel sicherer für unseren sozialen Status und unser körperliches Wohlergehen war es, die Truthähne überhaupt zu meiden. Meine Schwester und ich überlegten uns also eine Verteidigungsstrategie. Damals war FLASHDANCE gerade herausgekommen und ich versuchte meine Mutter dazu zu überreden, mir Stulpen zu kaufen (zum einen, um mit den coolen Kids in der Schule mithalten zu können, aber auch, um meine Beinevor Truthahnattacken zu schützen). Sie weigerte sich aber und sagte, in Texas im Sommer Stulpen zu tragen wäre totale Geldverschwendung. Die Sache endete damit, dass ich die
anderen
Kinder, die wahrscheinlich nicht einmal Truthähne hatten, um
ihre
Stulpen beneidete. Lisa und ich bastelten uns Knöchelschützer aus leeren Konservendosen, die wir an beiden Enden aufschnitten, aber meine Füße waren zu groß und passten nicht rein, und Lisas Füße waren so klein, dass die Konserven beim Rennen laut aneinander klapperten und die fiese Meute erst recht auf sie aufmerksam machte. Sie war praktisch wie eine kleine Essensglocke mit Zöpfen. Ich hätte ihr natürlich sagen können, dass die Knöchelschützer nichts nützten, aber das wäre gewesen wie zu einem Mit-Zebra zu sagen, dass es vor Bratensoße triefe, bevor wir beide einen Parkplatz voller Löwen überqueren mussten. Der Selbsterhaltungstrieb ist ein egoistischer Gesell und ich war nicht stolz auf mich, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich, wenn Lisa den Biestern zum Opfer fiel, aus Anstand eine Woche warten würde, bevor ich ihre Spielsachen für mich reklamierte.
    Lisa hatte

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