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Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Lawson
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mir als provisorische Kletterhilfe gedient hatte. Grandlibby murmelte etwas auf Tschechoslowakisch, das verdächtig nach einem Fluch klang. Lisas Rat war hilfreicher. »Beim Landen abrollen!«
    Zu unseren Lieblingsbeschäftigungen gehörte es, in den Mülleimern und -containern der Nachbarschaft nach versteckten Schätzen zu suchen. Unter unseren Beutestücken befanden sich ausrangierte Weihnachtsbäume, Bücher mit Wasserschäden, dreibeinige Stühle, Liebesbriefe und fleckige Kleider. Ich als Größte und zuletzt gegen Tetanus Geimpfte hielt es für meine Pflicht, am tiefsten im Müll zu wühlen. Wenn ich nur eifrig genug suchte, so meine Überzeugung, fand ich bestimmt eines Tages ein dickes Bündel Geldscheine, eine Tasche voller Heroin oder womöglich sogar eine menschliche Hand.
    Dass die harte Arbeit nicht umsonst gewesen war, wusste ich an dem Tag, an dem ich einen fleckigen PLAYBOY herauszog, dessen Seiten mit (wie ich heute hoffe) getrocknetem Orangensaft verklebt waren. Im Alter von neun bekam ich somit zum ersten Mal einen ganz nackten Körper zu sehen, der nicht in Verbindung mit einer Enthüllungsstory des NATIONAL GEOGRAPHIC stand. Meine Cousine und ich kehrten mit dem Magazin in den großelterlichen Garten zurück, machten es uns dort auf dem Rasen bequem und studierten die abgebildeten Frauen, deren Brüste zu meinem Erstaunen nicht bis zum Bauchnabel hinunterhingen und deren Namen alle mit Doppel-E zu enden schienen. Wir wandten uns dem Ausklappbild in der Heftmitte zu, einer gut ausgestatteten Blondine namens »Candee«. Grandlibby wollte uns mit einer verlockenden Kombination aus einer Leiter und einem Regenschirm ablenken, aber der PLAYBOY hatte uns schon viel zu sehr gepackt, und ihre Bemerkung, das Magazin wäre »Schund«, ließ uns kalt. Mein Großvater beäugte uns kritisch und brummte vor sich hin, wie achtlos Kinder heutzutage mit Rasen umgingen. Keine Ahnung, ob er überhaupt sah, was für ein Magazin wir da lasen, jedenfalls verschwand er nach einer Weile wieder vor sich hin brummelnd im Haus. Wahrscheinlich auf der Suche nach kleinen Nägeln.
    »Grandlibby?«, fragte ich. »Was ist ein ›Antörner‹?«
    Großmutter erbleichte sichtlich und sah ein wenig krank aus. »Hm«, sagte sie und suchte angestrengt nach Worten, »also das sind … also … Sachen, die man gerne mag.«
    Ich wandte mich an meine Cousine. »Meine Antörner sind Regina Regenbogen und Einhörner.«
    Michelle lächelte zurück. Zwei ihrer Schneidezähne fehlten. »Meine die Monchhichis. Und Tubble Gum.«
    Grandlibby ließ ein kurzes, ersticktes Lachen hören. »Schön. Vielleicht irre ich mich aber auch. Mein Englisch ist nicht so gut.
Verwendet das Wort einfach nie wieder,
okay?« Sie entschuldigte sich und ging nach drinnen. Von dort hörten wir etwas, das wie ein Gebet klang, aber wir waren so sehr mit den Frauen in unserer Zeitschrift und ihren offenbar hauchdünnen (und schlecht sitzenden) Stützkleidern beschäftigt, dass wir dem nicht nachgingen.
    Das sonnige Wetter schlug überraschend in einen heftigen Hagelschauer um. Wir rannten zur Veranda und hielten das Magazin über unsere Köpfe. Grandlibby kam uns mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen. »Seht ihr, was passiert, wenn ihr euch schmutzige Bilder anschaut?«, fragte sie.
»Es hagelt.«
Sie lächelte. »Und wisst ihr, woher der Hagel kommt?«
    »Haufenwolken?«, schlug ich vor. Ich hatte erst vor kurzem eine Zwei plus in Naturwissenschaften geschrieben und hielt es durchaus für möglich, dass meine Antwort stimmte.
    »Nein«,
erwiderte Grandlibby. »Aus der Hölle. Der Teufel schickt ihn, weil er sich freut, dass ihr einen solchen Schund lest.«
    Michelle und ich sahen uns an. Der Schauer aus heiterem Himmel war tatsächlich auffällig, trotzdem konnten wir Grandlibbys Logik nicht ganz folgen. Wenn der Teufel sich freute, warum schickte er dann Hagel, um uns von unserer neuenLiebe zur Pornografie abzulenken? »Sie hat da etwas durcheinandergebracht«, dachten wir. Was uns dagegen Sorgen bereitete, war, dass der Schauer nur wenige Augenblicke, nachdem wir Grandlibby im Haus hatten beten hören, losgebrochen war. Das war beunruhigend. Hatte meine Großmutter eine Art direkten Draht zu Gott? Hatten sich die jahrelangen Spenden für den Fernsehprediger Jim Bakker und seine Frau Tammy Faye endlich ausgezahlt? Wir waren uns nicht sicher, wollten aber auch nichts riskieren. Ich legte den PLAYBOY wieder auf die Mülltonne des Nachbarn, in dem Gefühl, wenn wir

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