Das ist nicht wahr, oder?

riefen wir ihn an, weil er von unseren Bekannten einem Dealer am nächsten kam. Er war mehr ein Zwischenhändler, der uns vor den »eigentlichen Dealern« schützte, die wir uns als große, aggressive Schwarze mit gepiercten Ohren und Pagern vorstellten und die sich wahrscheinlich endlos über uns lustig gemacht hätten. Außerdem waren diese aggressiven Schwarzen in meiner Vorstellung alle obercool und hatten Schnappmesser mit Namen wie »Charlie Firecracker«. (Ich kannte damals überhaupt keine Schwarzen, was ich nach diesem Absatz aber wahrscheinlich nicht mehr klarstellen muss.)
    Ein Typ, den ich kannte und der ein Haus am Stadtrand hatte, bot an, eine kleine LSD-Party für mich und ein paar andere aus unserer Clique zu veranstalten, die auch noch nie LSD genommen hatten. Wir riefen also Travis an und bestellten für den Abend genügend Stoff für uns sechs. Travis kam und sagte, die Drogen wären unterwegs, und etwa eine Viertelstunde später hielt draußen ein Pizzaservice. Der Fahrer kam mit einer Pilzpizza und einem noch nicht angeschnittenen Bogen LSD zur Tür. Er war noch keine zwanzig, ungefähr einen halben Meter kleiner als ich und extrem weiß, aber er hatte ein Piercingund einen Pager (was uns damals, also Anfang der Neunzigerjahre, sehr beeindruckte, obwohl der Pager wahrscheinlich nur für Pizzabestellungen benutzt wurde). Der Pizzatyp hieß Jacob. Travis erzählte mir später, dass jeder von Jacob LSD kaufen konnte, solange er den »Geheimcode« kannte, wenn er in der Pizzeria anrief. Ich stellte mir damals irgendwelche geheimnisvollen Zusätze zur Bestellung vor wie »Eine Pizza Pepperoni, aber bitte mit Rinde« oder »Ein großes Pizzabrot und
der Vogel fliegt um Mitternacht«.
In Wirklichkeit sagte man wahrscheinlich nur »Und richte Jacob aus, er soll Stoff mitbringen«, denn weder Travis noch Jacob hatten besonders viel Fantasie.
    Jacob verkaufte Travis das LSD für vier Dollar die Pappe und Travis verkaufte sie für fünf an uns weiter, was ein wenig peinlich war und eine kümmerliche Gewinnspanne. Wir nahmen jeder eine und Travis sagte, für weitere zehn Dollar würde er bleiben und uns babysitten, damit wir uns nicht selber die Hände abschnitten. Diese Befürchtung hatte ich bis dahin nicht gehabt, aber jetzt, wo er sie geäußert hatte, setzte sie sich in unseren Köpfen fest und ich war überzeugt, dass wir uns die Hände abschneiden würden, sobald Travis ging, also gab ich ihm einen Zehner. Er warnte uns schon mal im Voraus, wenn wir glaubten, die Nachbarkatzen würden uns bedrohliche Botschaften senden, wäre das wahrscheinlich nicht der Fall. Außerdem sollten wir nicht in die Sonne blicken, davon würden wir blind (wirklich ein guter Rat, wenn es nicht zehn Uhr abends gewesen wäre). »Bleibt am Ball, lasst euch nicht unterkriegen«, gab er uns noch mit auf den Weg.
    Insgeheim fürchtete ich, das LSD könnte bei mir überhaupt nicht wirken. Ich hatte schon Pot geraucht, aber nie wirklich das von der Zeitschrift HIGH TIMES in Aussicht gestellte Wahnsinnsfeeling gehabt. Dafür hatten sich sämtliche Nebenwirkungen eingestellt. Während meine Freundinnen sich aufihren Korbsesseln fläzten und darüber rätselten, warum sich nichts auf »orange« reimte, aß ich eine ganze Schachtel Vanille-Waffeln und lebte in der ständigen Angst, die Nachbarn könnten die Bullen rufen.
»Schmorange!«,
brüllte ich, während ich zugleich zwanghaft mit einem Duftspray um mich sprühte, um den Geruch zu übertönen. »Schmorange reimt sich auf orange!
Kann mir jetzt endlich mal jemand helfen, den Kühlschrank vor die Tür zu schieben?!«
    Niemand half mir.
    Dass ich mich nicht bekiffen konnte, lag wahrscheinlich daran, dass ich den Rauch nicht lange genug in der Lunge halten konnte. Viele behaupten zwar, wenn man beim Potrauchen hustet, verstärkt das die Wirkung, weil man dann mehr Rauch einatmet, aber sie lügen. Wenn ich einen Zug nehme und der beißende Rauch wie ein glühender Schürhaken auf meinen Gaumen trifft, fange ich an zu husten wie ein Bergmann mit Lungenemphysem. Und außerdem noch Tuberkulose. Und … was weiß ich … Vogelgrippe. Was ist schlimmer als Tuberkulose? Egal, ich klang jedenfalls so, als hätte ich es. Außerdem bekam ich ständig herumfliegende Samenkörner in die Luftröhre, aber keiner der anderen wäre noch zu lebensrettenden Erste-Hilfe-Maßnahmen imstande gewesen, wenn ich keine Luft mehr gekriegt hätte, jeder Hit war also eine Art Russisch Roulette. Auf jeden Zug