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Das ist nicht wahr, oder?

Das ist nicht wahr, oder?

Titel: Das ist nicht wahr, oder? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Lawson
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handelte, mit der manche Leute unerwünschte Tiere aus ihren Gärten vertreiben. Es sei denn, diese Tiere sind Luchse, denke ich. Dann ist man am Arsch.
    Victor war irgendwie sehr besorgt darum, was meine Eltern von ihm hielten, und wollte unbedingt von ihnen anerkannt werden. Meine Mom hatte er fast sofort rumgekriegt, indem er ihr half, ein altes Cabrio zu reparieren, aber mein Vater behandelte ihn immer, als hätte ich aus unerfindlichen Gründen unseren Rechnungsprüfer zum Essen eingeladen. Wenn wir einen gehabt hätten. Also versuchte Victor meinen Vater auf
mannhafte
Weise für sich zu gewinnen und sagte, er wolle seine Arbeit als Tierpräparator kennenlernen. Beide schienen nicht besonders scharf auf das Joint Venture, taten aber so, als wäre es ihnen um meinetwillen wichtig, obwohl ich klarmachte, dass ich davon überhaupt nichts hielt. Victor sah nach seinem ersten (und einzigen) Tag als Tierpräparator krank aus, mein Vater wirkte durcheinander.
    »Was ist passiert?«, flüsterte ich, nachdem mein Vater sich in seinem Zimmer hingelegt hatte. »Musstest du dich übergeben? Fast alle müssen das, wenn sie zum ersten Mal etwas präparieren«, versicherte ich. »Das ist ganz normal.«
    »Nein«, erwiderte Victor und hielt sich den Arm vor die Augen, wie um unwillkommene Bilder abzuwehren. »Nein, dein Dad hatte das Tier schon präpariert, es mussten nur noch einige Stellen nachgearbeitet werden. Es handelte sich um einen schwarzen Eber, und dein Dad meinte, ich könnte dasMaul innen ausmalen, das wäre eine gute, schnelle Arbeit für Anfänger.« Das stimmte und ich gab meinem Dad in Gedanken Pluspunkte dafür, dass er Victor etwas Leichtes und nicht so Ekliges zu tun gegeben hatte.
    »Und?«, fragte ich.
    »Ich habe sechs Stunden lang gemalt.
Sechs Stunden.
Mit einem Airbrush.«
    »Wow, das … das ist wirklich lange für das Maul eines Ebers. Wie ist es geworden?«
    »Es sah aus …« Victor verstummte und starrte grimmig an die Decke. »Weißt du noch die Szene, in der Fred Feuerstein sich als Mädchen verkleidet?«
    »Oh.« Ich biss mir auf die Lippen, um ernst zu bleiben, denn ich wusste, wenn ich jetzt lachte, kränkte ich ihn nur noch mehr. Ich tätschelte ihm also tröstend den Arm. »Und was hat Daddy gesagt?«, fragte ich vorsichtig.
    »Gar nichts. Er hat den Eber nur stumm angesehen und mich von ihm weggeschoben. Ich habe ihn noch nie so schweigsam erlebt. Er bat mich, seinen Jagdbogen für ihn zu spannen, und davon hätte ich mir fast einen Bruch geholt. Dann ging er mit mir nach draußen und dort sollte ich schießen. Ich hätte mir fast selbst ins Bein geschossen, wirklich.
Fast angeschossen hätte ich mich. Ins Bein.
Ich glaube, er wollte, dass ich mich aus Versehen selbst erschieße, damit er dir sagen kann, es hätte einen tragischen Unfall gegeben. Dann hättest du kein schlechtes Gewissen und könntest dir jemand anders suchen, der nicht ein Wildschwein so anmalt, dass es wie eine billige männliche Hure aussieht.«
    Ich wollte ihn davon überzeugen, dass mein Dad ihn in Wirklichkeit bewunderte, aber dann fiel mir ein, dass Dad ihm zwei Wochen zuvor hatte beibringen wollen, wie man nach Art der Indianer Pfeilspitzen aus Feuerstein herstellt. Victor hattesich überraschend geschickt angestellt, doch dann hatte er sich geschnitten und so heftig geblutet, dass wir schon gefürchtet hatten, er hätte eine Schlagader getroffen. »Willst du wirklich einen Bluter heiraten?«, hatte mein Dad leise gefragt, während er sich suchend nach etwas umsah, das er als Druckverband verwenden konnte. »Das ist erblich.« Vielleicht wollte mein Vater ihn ja wirklich umbringen.
    In einem verzweifelten letzten Versuch beschloss Victor, meinem Vater einen echt indianischen Medizinbeutel zu schenken, den er unter Verwendung eines gefundenen Kojotenkopfes, einer toten Schildkröte und einiger geflochtener Lederriemen als Gurt selbst gemacht hatte. Als er mit seiner makabren Handarbeit fertig war, hielt er sie mir triumphierend vor die Nase. Ich starrte kurz in das blicklose Kojotengesicht und wandte mich wieder meinen Buch zu. »Ist der nicht toll?«, beharrte er (irgendwie manisch) und ich zuckte halbherzig mit den Schultern, immerhin war denkbar, dass meinem Vater so etwas gefiel. Was allerdings nicht viel hieß, mein Vater freute sich aus unerklärlichen Gründen auch über von Autos überfahrene Tiere und bastelte aus übriggebliebenen Körperteilen irgendwelche Wolpertinger. Victor war sauer, weil ich seine

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