Das ist nicht wahr, oder?
Als Kind habe ich mir immer eine Pyjamaparty gewünscht, aber meine Eltern haben es nie erlaubt, deshalb nahm ich mir vor, dass ich später einmal selber eine Tochter haben und mit ihr täglich eine Pyjamaparty machen würde. Das klingt nach einem lachhaften Grund für ein Kind, aber es gibt schlimmere. Tief im Innern spürte ich allerdings noch ein Bedürfnis, das ich nicht in Worte fassen konnte. Ich wollte das Vermächtnis meiner Familie weitergeben. Ich wollte einem Kind eine magische Kindheit nach meinen Vorstellungen ermöglichen. Ich wollte einen kleinen Teil von mir und den Generationen vor mir in einem neuen Gesicht gespiegelt sehen und damit selbst neu geboren werden. Und ich wollte jemanden haben, den ich beim Scrabble schlagen konnte.
Victor und ich suchten Namen aus, kauften Babykleider und stellten uns vor, wie unser Leben als Eltern sein würde. Ich war nervös, aber mir war so schlecht, dass ich gar nicht dazu kam, mir ernsthaft Sorgen zu machen. Irgendwann im dritten Monat gingen Victor und ich zum Arzt, um einen Ultraschall machen zu lassen. In der Nacht davor hatte ich schlecht geschlafen. Ich hatte eine Panikattacke gehabt und schließlich um Mitternacht meine Schwester angerufen und hysterisch geschrien: »OHMEINGOTT, WAS MACHE ICH, WENN DAS BABY EIN REPUBLIKANER IST?« Da legte meine Schwester auf. Sie hilft anderen einfach nicht gerne. Oder sie war sauer, weil ich sie trotz meiner Panikattacken erst um Mitternacht angerufenhatte. Ich weiß es nicht. Dagegen weiß ich, dass ich im Sprechzimmer des Arztes auf alles gefasst war.
»Es sind Zwillinge.«
»Es sind Drillinge.«
»Es ist ein Republikaner.«
»Es ist ein kleiner Bär.«
Zugegeben, die letzte Variante schien unwahrscheinlich, aber ich war geistig auf fast alles vorbereitet – nur nicht auf das, was der Arzt uns dann sagte: dass kein Herzschlag zu sehen war. Dass das Baby tot war. Und dass es so »das Beste« wäre. Da brach ich zusammen. Von außen war nichts zu sehen. Ich heulte nicht, ich schrie nicht. Ich war nur wie betäubt und wusste, dass alles meine Schuld war. Wenn ich in die Kirche gegangen wäre oder zum richtigen Gott gebetet hätte, wäre das nicht passiert. Das Sprechzimmer des Arztes hatte als Nummer die Unglückszahl, die nach der Zwölf kommt. Ich hatte noch um ein anderes Zimmer bitten wollen, aber es war mir zu peinlich gewesen zu sagen, warum. Aber wenn ich ein anderes Zimmer verlangt hätte, würde das Baby noch leben. Es gab eine Million Gründe für das, was passiert war, und an allen war ich schuld.
Benommen folgte ich Victor durch die Flure und zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich ernsthaft an Selbstmord. Ich überlegte, ob ich so rasch verschwinden konnte, dass Victor es nicht gleich bemerkte, und ob die Höhe des Gebäudes ausreichte, mich zu töten, wenn ich sprang, oder ob ich nur körperlich und geistig gebrochen in einem Krankenhausbett aufwachen würde. Ich überlegte, was ich tun konnte, damit ich mich nie mit dem beschäftigen musste, was passiert war, denn ich wusste, ich war nicht stark genug, um an anderen Ende heil herauszukommen. Victor schien zu spüren, dass ich wegrennen wollte, oder vielleicht hatte er selbst auf Autopilot geschaltet, jedenfalls hielt er meinen Arm schmerzhaft umklammert,sodass ich keine Chance hatte zu fliehen. Wir gingen nach Hause, und während ich auf die Fehlgeburt wartete, musste Victor alle unsere Bekannten anrufen und ihnen sagen, dass sie mich unter keinen Umständen je darauf ansprechen durften. Keine Blumen, kein »Tut mir leid«.
Nichts.
Denn ich wusste, ich überstand das nur, wenn ich es radikal verdrängte.
Was vielleicht auch geklappt hätte, wenn nicht die Fehlgeburt ausgeblieben wäre. Ich trug das Baby noch einen ganzen Monat aus und dann hatte ich einen Nervenzusammenbruch. Ich weiß bis heute nicht, was ihn auslöste, jedenfalls fanden meine Kollegen mich hysterisch schluchzend in meinem Büro. Das Schluchzen klang in meinen Ohren überhaupt nicht menschlich und ich weiß noch, wie ich mich fragte, woher es kam, bis mir klar wurde, dass ich das war, die da so vollkommen unbeherrscht heulte und wehklagte. Erst als die Erschöpfung mich übermannte, hörte ich auf. Victor brachte mich nach Hause und mein Arzt begriff schließlich, dass ich nicht mehr konnte, und vollzog den Eingriff. Es gab Komplikationen, und am Abend hatte ich eine schmerzhafte und blutige Fehlgeburt. Eine Woche später wurde bei mir eine posttraumatische Belastungsstörung
Weitere Kostenlose Bücher