Das italienische Maedchen
hat mich in die Klinik gebracht.«
»Mit dem habe ich, glaube ich, gesprochen.«
»Tatsächlich? Wann?« Rosanna sah ihn überrascht an.
Chris merkte, dass er sich verplappert hatte. »Er hat in der Wohnung angerufen, um Roberto mitzuteilen, dass die Wehen früher eingesetzt haben. Ich hab das Telefon als Erster gehört und bin rangegangen.«
»Verstehe.«
Er wechselte hastig das Thema. »Freust du dich auf den heutigen Abend?«
»Ich glaube schon, aber es wird mir nicht leichtfallen, eine andere mit Roberto singen zu sehen.«
»Das will ich hoffen«, meinte Chris grinsend. »Es gibt keinen Grund, warum du nicht allmählich wieder ins Geschäft einsteigen solltest. Anfangs das eine oder andere Konzert und dann ein paar Tage in Paris, zum Beispiel. Es kommen nach wie vor Angebote rein, aber lange wird das nicht mehr so gehen.«
»Ich weiß, ich weiß«, seufzte sie. »Nico ist noch so klein, ich brauche ein bisschen mehr Zeit, Chris, bitte.«
»Verstehe.«
Da klingelte es zum ersten Mal. »Gehen wir mal lieber.«
In der Loge atmete Rosanna neben Chris den Geruch des Theaters ein. Als sie sich über das mit rotem Samt bezogene Geländer beugte und zu der prächtig gewölbten blau-goldenen Decke hinaufblickte, spielte ein Lächeln um ihre Lippen. Sonst wartete sie nervös auf der anderen Seite des Vorhangs und konnte nicht in aller Ruhe das Bauwerk bewundern. Sobald es dunkel wurde und das Orchester mit der Ouvertüre begann, bekam sie eine Gänsehaut.
Sie verfolgte mit, wie mühelos Roberto mit Francesca Romanos das schwierige Liebesduett im ersten Akt sang. Als er im zweiten »Vittoria! Vittoria!« schmetterte, spürte Rosanna die Spannung der Zuhörer förmlich. Und nach »E lucevan le stelle« im dritten hielt es das Publikum nicht mehr auf den Sitzen. Es klatschte und trampelte mehrere Minuten lang, bis der Dirigent wieder den Taktstock hob.
Da wusste Rosanna, wie schwer es ihr fallen würde, der Oper fernzubleiben. All die Jahre harter Arbeit … wie sollte sie dieser Welt den Rücken kehren? Sie gehörte wie Roberto dazu, und die Magie zwischen ihnen hatte zum Teil mit ihren gemeinsamen Bühnenauftritten zu tun.
Ihr traten Tränen in die Augen, als sie sah, wie Roberto und Francesca fünf Minuten Standing Ovations erhielten. Rosanna hatte Francesca sehr genau beobachtet und nach Fehlern gesucht. Und leider nur wenige entdeckt. Sie war sehr, sehr gut. Außerdem war sie jung und ausgesprochen hübsch.
»Na, wie fühlst du dich?«, fragte Chris beim Verlassen der Loge.
»Ich bin deprimiert«, seufzte Rosanna. »Ich hatte gehofft, dass es mir nichts ausmacht, aber natürlich tut es das doch.«
»Freut mich zu hören.« Chris ging mit ihr zum Crush Room, wo sich die Gäste des Champagnerempfangs trafen.
Roberto und Francesca wurden mit Beifall begrüßt. Roberto eilte sofort zu Rosanna.
» Principessa , hat’s dir gefallen?«
»›Gefallen‹ ist nicht das richtige Wort.« Rosanna verzog das Gesicht. »Aber du warst toll, caro .«
»Entschuldigung«, sagte Chris. »Darf ich dir Roberto ein paar Minuten entführen? Da drüben ist jemand, den er kennenlernen sollte.«
Rosanna blieb allein zurück.
»Hallo, Rosanna.«
Als Rosanna sich umdrehte, blickte sie in das lächelnde Gesicht von Francesca Romanos. Als Künstlerin achtete Rosanna Francesca, aber als Person fand sie sie ein wenig leichtfertig. Doch sie wusste, wann ein Kompliment fällig war. »Gratuliere, Francesca. Superleistung heute.«
»Danke. Dein Lob bedeutet mir viel. Ich bewundere dich sehr. Und Roberto war wie immer spitze. Ich finde, wir harmonieren gut.«
»Das stimmt.«
»Wie geht’s dem Kleinen?«
»Gut, danke. Er wächst und gedeiht.«
»Weißt du schon, wann du auf die Bühne zurückkehrst?«
»Nein.«
»Besteht die Möglichkeit, dass du gar nicht wieder anfängst?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, antwortete Rosanna, die sich von Sekunde zu Sekunde unbehaglicher fühlte.
»Wenn nicht, wird es hart für dich. Ich meine, Roberto die ganze Zeit allein reisen zu lassen. Er ist so charmant. Auch in New York hatte er eine ganze Schar schöner Verehrerinnen.«
»Tatsächlich? Das ist nichts Neues. Mein Mann hat einfach Ausstrahlung«, sagte Rosanna, bemüht, gleichmütig zu klingen.
»Du bist das wahrscheinlich gewöhnt, aber mich würde es wahnsinnig machen, wie manche Frauen sich an berühmte Männer wie Roberto ranschmeißen. Eine ganz besonders … Donatella hieß sie, glaube ich … Sie hat ihm keine Ruhe
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