Das italienische Maedchen
hinein.
»Verständlich. Sie ist noch nie von Neapel weg gewesen, schon gar nicht im Ausland und bei einer Tante, die sie jahrelang nicht gesehen hat. Sie soll sich hier zu Hause fühlen. Das ist das Mindeste, was ich für Carlotta tun kann.«
»Sie erinnert mich an jemanden«, stellte Stephen kauend fest.
»An wen?«, fragte Rosanna.
»An dich natürlich.«
Ja, genau, dachte sie. Deswegen war ihr das Lächeln so vertraut erschienen. »Stephen, bitte stell die Scones ins Wohnzimmer, bevor du sie alle auffutterst«, bat Rosanna ihn.
»Ich fahr dann mal. Du wirst mit Luca und Ella allein reden wollen.«
»Kommst du morgen zum Abendessen?«
»Gern.« Er küsste sie auf die Nasenspitze und ging.
»Hallo, Rosanna.« Ella war so leise in die Küche gekommen, dass sie sie nicht gehört hatte.
»Hallo, Ella. Ich bringe den Kaffee gleich ins Wohnzimmer.«
»Ich wollte nur fragen, ob es dir etwas ausmacht, wenn ich ins Bett gehe. Ich bin sehr müde.«
»Hast du denn keinen Hunger? Möchtest du später mit uns essen?«
Ella schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Buona notte , Rosanna.«
»Gute Nacht, Ella.«
Als Ella die Küche verließ, wirkte sie so zerbrechlich, dass Rosanna fast die Tränen kamen.
»Ich glaube, sie weiß, dass Carlotta bald sterben wird, Luca«, sagte Rosanna später beim Abendessen.
»Möglich, doch Carlotta hat sich geweigert, mit Ella über ihre Krankheit oder die Zukunft zu sprechen.«
»Wie viel Zeit bleibt Carlotta noch?«
Luca legte die Gabel weg und schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, Rosanna, jedenfalls nicht viel. Sie hat schreckliche Schmerzen.«
»Dann muss Ella so bald wie möglich zu ihr zurück, bevor es zu spät ist.«
»Nein, Rosanna. Das möchte Carlotta nicht. Sie hat sich von ihrer Tochter verabschiedet.«
»Aber was ist mit Ella? Hat sie denn kein Mitspracherecht?«
»Carlotta hält es so für das Beste.«
»Und was passiert nach ihrem Tod?«
»Ich habe einen Brief von Carlotta für dich, der vermutlich alles besser erklärt, als ich es kann. Ich gebe ihn dir nach dem Essen. Lass uns dann weiterreden. Wie war’s in New York?«
»Gut … und schlecht.« Rosanna stocherte in der Kartoffel auf ihrem Teller herum. »Mit Stephen war’s schön, aber ich bin Bekannten von Roberto und seiner Geliebten Donatella Bianchi begegnet.«
Luca hob die Augenbrauen. »Er ist wieder bei ihr?«
»Ja.«
»Die beiden passen zusammen. Sie sind aus demselben Holz geschnitzt.«
»Genau das hat Trish auch gemeint.«
»Trish?«
»Die Frau von Stephens Kunde in New York. Sie ist mit Donatella und Roberto befreundet. Anfangs war’s ein bisschen schwierig mit ihr, aber letztlich ist sie, glaube ich, ganz nett. Ihr Mann hat irre viel Geld und eine tolle Kunstsammlung. Er hat mich in einen kleinen Raum geführt, in dem sich eine wunderschöne Zeichnung der Madonna befindet.« Rosanna zeigte mit den Händen, wie groß sie war. »Er behauptet, sie sei von Leonardo da Vinci. Offenbar hat er mehrere Millionen Dollar dafür bezahlt.«
»Tatsächlich?« Luca schwieg kurz, bevor er fragte: »Wo hat er die Zeichnung her?«
»Keine Ahnung. Eigentlich sollte ich dir das gar nicht erzählen. Vielleicht weiß Stephen es. Du kannst ihn fragen. Warum?«
»Ach …« Luca zuckte die Schultern. »Nur so.«
Was Rosanna gesagt hatte, ließ Luca keine Ruhe. Er zog sich früh in sein Zimmer zurück, um seine Gedanken zu sortieren: Donatella, ein Freund des Kunstsammlers, eine kleine Zeichnung der Madonna, die an Leonardo erinnerte … Konnte es ein und dieselbe sein, oder war es reiner Zufall?
Am nächsten Morgen, als Ella und Rosanna mit Nico in der Küche frühstückten, suchte Luca im Arbeitszimmer die Nummer von Stephens Galerie aus Rosannas Adressbüchlein heraus und wählte sie.
»Stephen, ich bin’s, Luca Menici. Entschuldigen Sie, dass ich störe, aber ich hätte eine Frage. Gestern Abend hat Rosanna mir von einer Zeichnung der Madonna Ihres Kunden in New York erzählt.«
»Tatsächlich? Das hätte sie doch für sich behalten sollen.«
»Keine Sorge, Stephen, sie wird es niemandem sonst sagen. Warum ist die Sache so geheim?«
»Viele Kunstsammler wollen nicht, dass publik wird, welche Schätze sie besitzen. Kunstdiebstahl ist heutzutage ein großes Problem.«
»Wissen Sie zufällig, von wem Ihr Kunde diese Zeichnung erworben hat?«
»Ja, aber ich möchte sein Vertrauen nicht missbrauchen, Luca.«
»Bitte, ich muss es wissen. Sie haben mein Ehrenwort, dass ich es niemandem
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