Das italienische Maedchen
Haustür. »Du siehst wunderschön aus«, stellte er auf dem Weg ins Musikzimmer anerkennend fest. Die Terrassentür war geöffnet, aufgehalten von zwei großen Blumenarrangements, und draußen waren mehrere Sitzreihen aufgebaut.
»Schau.« Luigi führte Rosanna in die Mitte des Raums. »Hier wirst du stehen und singen. Und jetzt stelle ich dir die anderen Sänger vor.«
Sechs junge Leute unterhielten sich nervös im Salon. Sie verstummten, als Luigi und Rosanna eintraten.
»Das ist Rosanna Menici. Sie wird als Letzte singen. Rosanna, nimm dir doch etwas zur Stärkung.« Luigi deutete auf einen Tisch mit großen Krügen Limonade und Antipastitellern. »Ich muss die Gäste begrüßen.«
Rosanna setzte sich in einen Ledersessel in der Ecke, weil sie zu nervös war, sich zu den anderen Sängern zu gesellen, die ihre Gespräche erneut aufnahmen.
Wieder und wieder hörte sie die Türklingel und das leise Gemurmel der Gäste, wenn sie auf dem Weg zur Terrasse am Salon vorbeikamen.
Da streckte Luigi den Kopf herein.
»Noch fünf Minuten, meine Damen und Herren«, verkündete er. »Signora Rinaldi wird Sie holen. Nach Ihren jeweiligen Darbietungen dürfen Sie sich ins Publikum setzen. Vielleicht können Sie ja etwas voneinander lernen. Viel Glück.«
Einige Minuten später rief Signora Rinaldi den ersten Sänger auf. Schon bald verstummte der Lärm auf der Terrasse, und der Flügel erklang. Einer nach dem anderen verließen die jungen Leute Rosanna, bis diese schließlich allein zurückblieb.
Kurz darauf winkte Signora Rinaldi ihr von der Tür aus zu. »Kommen Sie, Rosanna, Sie sind dran.«
Rosanna folgte der Haushälterin mit feuchten Händen und wild klopfendem Herzen zur Tür des Musikzimmers, hinter der sie noch ihre Vorgängerin singen hörte.
»Signor Vincenzi hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass Ihr Papà und Ihr Bruder sich unter den Zuhörern befinden.« Sie bedachte Rosanna mit einem freundlichen Lächeln. »Sie schaffen das schon.«
Applaus signalisierte das Ende des Vortrags. Signora Rinaldi öffnete die Tür zum Musikzimmer und schob Rosanna sanft hinein.
»Und nun zur letzten Künstlerin dieses Abends, meiner ganz besonderen Schülerin Signorina Rosanna Menici. Rosanna lernt seit fünf Jahren bei mir, dies ist ihr erster öffentlicher Auftritt. Freuen Sie sich, beim Debüt eines bemerkenswerten Talents anwesend zu sein. Signorina Menici wird ›Mi chiamano Mimì‹ aus La Bohème singen.«
Höflicher Applaus, während Luigi sich auf seinen Klavierhocker setzte. Zahllose Gedanken schossen Rosanna durch den Kopf, als Luigi zu spielen begann: Sie würde es nicht schaffen, die Stimme würde ihr versagen …
Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Unter den verschwommenen Gesichtern entdeckte sie das lächelnde Antlitz von Mamma, das sie ermutigte.
»Du schaffst das, Rosanna, du kannst es …«
Rosanna holte tief Luft und begann zu singen.
Luigi traten Tränen in die Augen. Fünf Jahre harte Arbeit, und an diesem Abend entfaltete sich Rosannas göttliche Stimme zu voller Pracht, wie er es sich immer vorgestellt hatte.
Paolo de Vito saß mit geschlossenen Augen in der zweiten Reihe. Vincenzi hatte recht gehabt. Dieses Mädchen besaß eine der reinsten Sopranstimmen, die er kannte. Sie hatte Farbe, Kraft und Tiefe; jede Note der schwierigen Arie war klar und bedacht. Und die junge Frau schien zu begreifen, was sie sang. Die Zuhörer lauschten gebannt. Paolo bekam eine Gänsehaut. Rosanna Menici war sensationell, und er wollte derjenige sein, der sie der Welt präsentierte.
Marco Menici starrte ungläubig die schmale Gestalt vor ihm an. War das wirklich Rosanna, das schüchterne Mädchen, dem er so selten Beachtung schenkte? Er kannte ihre gute Stimme, aber das gerade eben … Sie hatte vor all den Leuten gesungen, als hätte Gott sie nur dafür geschaffen! Hätte Antonia doch nur auch dabei sein können! Marco wischte sich die Tränen aus den Augen.
Luca Menici, der Marco beobachtet hatte, dankte Gott dafür, dass er ihm geholfen hatte, seinen Vater zum Kommen zu überreden. Auch er blinzelte eine Träne weg. Die Würfel waren gefallen. Jetzt konnte nichts mehr Rosanna aufhalten.
Als Rosanna verstummte, herrschte einige Sekunden Stille unter den Zuhörern. Sie verharrte wie in Trance, und das Gesicht ihrer Mutter, für das sie gesungen hatte, verschwand. Das Publikum begann, begeistert zu klatschen. Luigi verbeugte sich mit ihr. Die anderen Sänger fielen in den Applaus ein.
Luigi hob die Hände
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