Das italienische Maedchen
Kleine. Den bringt der Page in deine Suite. Vergiss nicht, wer du bist. Ich hole dich um acht ab. Wir essen gemeinsam im Restaurant zu Abend.« Roberto zwinkerte ihr zu, schloss die Tür zu seiner Suite auf und ging hinein.
Zwei Stunden später lag Rosanna in der geräumigen Badewanne, und duftende Seifenblasen liebkosten ihre Haut. Sie fühlte sich ein wenig fremd, aber nicht unwohl. Die Stille in der riesigen Suite war ohrenbetäubend; zum ersten Mal in ihrem Leben war sie mehr als ein paar Stunden allein. Zu Hause waren immer Mamma, Papà, Carlotta und Luca da gewesen, in Mailand Luca und dann Abi. In den folgenden beiden Monaten würde sie lernen müssen, auf eigenen Beinen zu stehen. Nur Roberto würde ihr Ratschläge geben können.
Rosanna seifte sich mit einem Flanellwaschlappen ein. Ihre Emotionen verwirrten sie. Einerseits fand sie Roberto unerträglich arrogant, andererseits fühlte sie sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen.
Genau wie Hunderte von Frauen vor mir, schalt sie sich selbst, als sie aus der Wanne stieg und sich abtrocknete.
Rosanna zog sich an, setzte sich an den Frisiertisch mit den Goldverzierungen und schminkte sich. Nachdem sie ihre Haare gerichtet hatte, stand sie auf und glättete eines der eleganten neuen Kleider, die Abi ihr vor ihrer Abreise aus Mailand aufgeschwatzt hatte. Seufzend betrachtete sie sich im Spiegel. Warum, fragte sie sich, hatte eine junge Frau, die bisher nicht sonderlich an ihrem Äußeren interessiert gewesen war, soeben fast eine Stunde darauf verwandt, sich für das bevorstehende Abendessen schick zu machen?
Roberto klopfte an der Tür. Als Rosanna sie öffnete, blieb ihm der Mund offen stehen. Das kurze schwarze Kleid umspielte ihren zierlichen Körper und betonte ihre langen, schlanken Beine, und ihre frisch gewaschenen Haare glänzten im Licht. Sie sah so jung und schön aus. Roberto überraschte es, welch tiefen Eindruck sie auf ihn machte, denn sie besaß keines der Attribute, die er bei Frauen normalerweise so anziehend fand – keinen tiefen Ausschnitt und keine wohlgeformten Hüften; es war fast, als hätte ihr Körper sich noch nicht ganz fürs Erwachsenendasein entschieden.
»Rosanna, du siehst umwerfend aus.«
»Danke.« Sie lächelte verlegen.
Er hielt ihr den Arm hin, und sie hakte sich unter. »Es ist mir eine Ehre, dich zum Essen zu geleiten.«
Am folgenden Morgen wartete, obwohl es zu Fuß nur fünf Minuten zum Royal Opera House gewesen wären, ein Wagen auf sie, der sie zu den Proben bringen sollte. Rosanna war überwältigt, als sie das Gebäude betrat. Der künstlerische Leiter führte sie auf die Bühne und zeigte ihnen die Kulissen, die gerade aufgebaut wurden.
Die Proben begannen nach dem Mittagessen. Der Chor nahm seine Position hinter Roberto ein.
»Nein, nein!«, rief Roberto aus. »In diesem Teil bin ich allein auf der Bühne.«
»Die Szene wurde geändert. Weil wir im Hintergrund einen Kulissenwechsel durchführen, muss der Chor nach vorn. Wir haben keine Zeit, ihn von der Bühne zu bringen und dann wieder rauf. Aber die Zuschauer werden ihn nicht wahrnehmen«, erklärte der künstlerische Leiter Jonathan Davis geduldig.
»Ich werde ihn hinter mir spüren , das reicht.« Roberto warf gähnend einen Blick auf seine Uhr. »Es ist nach vier, ich bin müde. Ich gehe jetzt ins Hotel, mich ausruhen. Signorina Menici wird mich begleiten. Sie ist ebenfalls müde von der Reise.«
»Ich bleibe hier«, widersprach Rosanna.
»Mr Rossini, wir müssen …«
Roberto hörte Jonathans Worte nicht mehr.
»Gibt es irgendetwas, das wir ohne Mr Rossini proben können?«, fragte Rosanna Jonathan.
»Natürlich. Zum Beispiel das ›Sempre libera‹.«
»Tut mir leid, dass Roberto einfach gegangen ist«, versuchte Rosanna Robertos Verhalten zu entschuldigen.
»Miss Menici, wir sind die … wie soll ich es ausdrücken? … Launen der Stars gewöhnt. Aber machen wir weiter.«
Zwei Stunden später kehrte Rosanna erschöpft und schlecht gelaunt in ihre Suite zurück. Bei dem Gedanken, dass sie bereits vier Tage später ihr Covent-Garden-Debüt in der schwierigen Rolle der Violetta geben würde, wurde ihr fast übel, weil sie sich gänzlich unvorbereitet fühlte.
Kurz nach ihrem Eintreten klingelte das Telefon.
» Pronto , ich meine hallo?«
»Ich bin’s, Roberto. Wo warst du?«
»Was denken Sie? Ich habe, so gut es ging, ohne Sie geprobt.«
»Ganz ruhig. Ich lade dich heute Abend zum Essen ins Le Caprice ein. Das ist ziemlich
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